Wenn die Met Gala ihren Dresscode aus intellektuellen Schreiben zieht, zeigt sich, welche StylistInnen und Celebrities ein gutes Textverständnis haben. Wie setzt man das diesjährige Konzept des Black Dandy am besten um – und was bedeutet es eigentlich? Wir verraten’s dir.
„Um die Gegenwart zu verstehen, muss man die Geschichte kennen.“ Für dieses Zitat haben wir nicht etwa selbst philosophische Hirnakrobatik angestellt, sondern es dem amerikanischen Astrophysiker Carl Sagan geklaut. Zahlreiche PolitikerInnen taten es uns gleich und haben es in irgendeiner Version nachgeplappert. Wir meinen damit aber eher die Mode. Denn ohne Kontext klingt auch das einfachste Met-Gala-Motto, als hätte man sich versehentlich in die falsche Vorlesung im falschen Studiengang eingeschrieben.

Wer erinnert sich noch an 2019, das schicksalhafte Jahr, in dem das Met-Motto „Camp“ die Köpfe zum Rauchen und das Internet zum Beben brachte? Nur eine Gruppe jubelte, weil Susan Sontags Essay-Klassiker „Notes on Camp“ als Grundbaustein des Dresscodes für den Fashion-Event des Jahres diente: StudentInnen, die irgendwas mit Literatur studierten und sich regelmäßig für ihre brotlosen Fachrichtungen rechtfertigen mussten. „Notes on Camp“? Easy. Tausendmal gelesen, interpretiert, auf den Kopf gestellt und bis in den letzten Buchstaben seziert.
Bei einigen unserer liebsten Celebrities und ihren StylistInnen sah es etwas anders aus. Camp? Zeltplatz? Ach nein, es hat irgendwas mit auffallen und übertreiben, aber auf eine ironische Art zu tun. Die Verwirrung führte zu kleinen Fehltritten à la Karlie Kloss, die im schlichten goldenen Dress erschien und trotzdem auf Social Media postete: „Looking camp right in the eye“. Dabei glich sie eher einer Schülerin auf dem Abschlussball. Was Lady Gaga, Queen of Camp schlechthin, die sich im Laufe des Abends theatralisch aus mehreren Schichten schälte, wohl davon hielt?



Black Dandyism und eine Geschichtsstunde
Von K wie Katholizismus bis K wie Karl Lagerfeld, von Punk zu China zu gar keinem Motto – seit 1995 gibt das Fashion-Happening des Jahres so viel zu reden, dass man Bücher füllen könnte.
Jetzt haben wir die Vergangenheit aber zur Genüge aufgearbeitet. Es ist 2025 und der Met Gala Dresscode hat sich einmal mehr einem Text bedient, der auf unser aller Leseliste gehört: „Slaves to Fashion: Black Dandyism and the Styling of Black Diasporic Identity“ von Monica L. Miller. „Superfine: Tailoring Black Style“ nennt sich das daraus gezogene Motto der Gala, „Tailored for You“ der offizielle Dresscode. Die Schnappatmung der StylistInnen und Stars ist bis hierhin zu hören. Was ist ein Black Dandy, wie ehrt man das Thema, ohne in die gefürchtete Cultural-Appropriation-Falle zu treten? Berechtigte Fragen. Einmal mehr gehört eine Geschichtslektion her.



Kurz umrissen ist das Thema eine Hommage an das modische Erbe Schwarzer Männer. Eine begleitende Ausstellung im Met zeigt Kleidungsstücke, Gemälde und Fotografien, die illustrieren, wie sich Schwarze Männer im Laufe der Geschichte gekleidet haben. Dabei wird deutlich, wie wichtig Kleidung und Stil für die Herausbildung Schwarzer Identitäten waren. Es ist das erste Mal seit 2003, dass sich die Begleitausstellung ausschließlich um Menswear dreht.
Und wer ist jetzt dieser Dandy? Der Begriff „Dandy“ stammt ursprünglich aus Europa und bezeichnete Männer der Mittelschicht, die einen verschwenderischen Lebensstil pflegten: gutes Essen, Kunst und Geselligkeit füllten ihre Tage. Der Schwarze Dandy entstand erst später – Kolonialismus lässt grüßen. Da SklavInnen sich oft nicht aussuchen konnten, was sie trugen, war Kleidung essentiell, um die eigene Identität zu formen. Durch sie konnten Schwarze Männer gegen die gängige Norm, wie ein Schwarzer Mann auszusehen hat, rebellieren.
Der Dandy an der Gala
Im 21. Jahrhundert könnte ein Black Dandy jeder aus der bemerkenswerten Gruppe der Met-Gala-Gastgeber sein: Colman Domingo, Pharrell Williams, Lewis Hamilton und A$AP Rocky führen als Co-Moderatoren durch den Abend, ebenso wie LeBron James, der als ehrenamtlicher Co-Vorsitzender fungiert. Und weil wir gerade nur von Männern reden: Es gibt übrigens auch eine weibliche Version des Dandys: Die Dandizette trug traditionell rosa Schuhe, ein weißes Kleid und Handschuhe.

Weil beim diesjährigen Motto Menswear im Mittelpunkt steht, sind haufenweise Anzüge – maßgeschneidert bis zur Perfektion, versteht sich – zu erwarten. Und: Anzug ist nicht gleich Anzug. Spezielle Formen und kreative Kombinationen, die sich an Trends vergangener Jahrzehnte anlehnen, dürften ebenfalls auf dem roten Teppich bewundert werden. Wie die einzelnen geladenen Gäste den Dresscode „Tailored for You“ umsetzen, bleibt spannend, denn dieser lädt dazu ein, den persönlichen Stil trotz Motto beizubehalten.

Wiederholte Kritik an der kulturellen Aneignung und mangelnden Inklusivität der Met Gala und der Institution selbst hält sich hartnäckig. Und die Modeindustrie als Ganzes hadert nach wie vor damit, Inklusion und Diversität tatsächlich umzusetzen und nicht nur als plakative Buzzwords zu benutzen. Labels von Schwarzen DesignerInnen und Schwarze StylistInnen zu bevorzugen, sollte an der diesjährigen Met Gala Standard sein.
Die Ausstellung im Met läuft übrigens noch bis Ende Oktober. Mehr dazu liest du hier.
Fotos: © pa picture alliance (dpa)
Was man abseits des roten Teppichs in der kommenden Saison tragen wird, haben wir hier für dich zusammengestellt.