Patrick Pierazzoli: I really fucking love my job
Das wird eine etwas längere Geschichte, also machen Sie sich auf etwas gefasst. Heute vor einem Monat. Es war der Montag der Druckabgabe unserer März-Ausgabe. Die Druckabgabe ist für uns immer das grosse Finale – und diese Deadline nimmt ihren Namen wörtlich. Es ist meine liebste Zeit im Monat. Alles gipfelt in diesem Moment, jeder arbeitet auf Hoch-touren, alles läuft unplanmässig wie geplant. FACES fährt Höchstgeschwindigkeit – das ist ein wahnsinnig gutes Gefühl. Und dann Server kaputt. Backup-Server auch. Der Super-GAU. Zwei neue mussten her, und zwar sofort. Der schnellste Weg dazu führte mich ins luzernische Willisau – ein paar Stunden später war ich zurück mit den Geräten, und dank einer Nachtschicht unseres Server-Gurus konnte am nächsten Tag alles weiterlaufen. Auf meiner Fahrt bei Schnee und Regen dachte ich darüber nach, weshalb eigentlich ausgerechnet ich den Scheiss-Server bei dem Scheiss-Wetter in dem Scheiss-Willisau holen musste. Natürlich war es das Problem, das es als allererstes und bedingungslos zu lösen galt, aber ich war irgendwie auch am entbehrlichsten, alle anderen hatten Wichtigeres zu tun.
Heute. Montag, Start zum Finale dieser Ausgabe. Ich liege seit vier Tagen mit Grippe flach. So schlimm war ich seit 20 Jahren nicht mehr dran. Ich werde bei der Druckabgabe diesmal gar nicht vor Ort sein. Und was wird passieren? Nichts. Sie halten wie jeden Monat das neue beste FACES aller Zeiten in den Händen. Sollte mir das zu denken geben? Ich glaube, es spricht eher für den Dirigenten, wenn er mitten im Konzert den Taktstock hinlegen und einen Kaffee trinken gehen kann, und niemand von seiner Abwesenheit Notiz nimmt. Das ist meine Meinung. Fakt ist, ich arbeite am liebsten mit Menschen zusammen, die etwas besser können als ich. Sie interessieren mich, ich respektiere sie, und ich vertraue ihrem professionellen Urteil. Das gilt für die vielen Autoren, Fotografen, Stylisten und anderen Kreativen, die mit ihrer Arbeit unser Heft bereichern. Und das gilt insbesondere für mein FACES-Dream-Team in Zürich, Berlin und Mailand. Marina, Kim, Alena, Kathrin, Simone, Meret, Yasmin, Leandra, Bruce, Yasemin, Steff, Alisa, Mirco, Marco, Linda, Julia und Flo. Ich danke euch. Es ist mir eine Freude, mit euch zusammen dieses Heft zu machen. Ich leg mich jetzt wieder hin und lass euch machen. Peace out.
Marina Warth: Rollin’
Ob Lapislazuli oder Rosenquarz: Edelsteine haben doch immer irgendwie was von Walpurgis-nacht. Energie ziehe ich aus meinem Schokoriegel, nicht aus dem Quarz unterm Bett. Deshalb löst auch der überhypte Jade-Roller in mir in etwa so viel Begeisterung aus wie schreiende Kinder im Tram. Allerdings steh ich auf ehrliches Handwerk, auf Produkte mit Seele, die nicht aus dem chinesischen Arbeitslager stammen, sondern aus Manufakturen in Kleindörfern, wo beim Bäcker mit den Brötchen gleich die neusten Klatschgeschichten über den Tresen gehen. Bezau ist so ein Ort und Susanne Kaufmann so ein Brand. Die Philosophie stimmt: Kosmetik aus der Natur, vor Ort hergestellt, in kleinen Mengen nachhaltig produziert. Auf Cremes und Toner folgt nun der eigene Gesichtsroller – ein Tool, so minimalistisch und stylisch, dass es sogar Design-Preise gewinnt. Die Silhouette stammt von Susannes Bruder, der Stiel vom örtlichen Drechsler und der Stein aus Südtirol. Ein Obsidian – schwarz und matt –, der Blockaden lösen soll, wenn man denn daran glaubt. Mir hilft er beim Wegrollen geschwollener Augen, wenn der Wein mal zu viel geflossen und die Nacht zu schnell vergangen ist. Und das hat garantiert nichts mit Hokuspokus zu tun. Susanne Kaufmann, „Obsidian Face Roller“, ca. 318.–
Marco Rüegg: Forget it!
„Papa, weisst du wer ich bin?“ – „Als ob das so interessant wäre!“ In den Interviews, die Arno Geiger mit seinem zunehmend dementen Vater führt, stecken Komik, Liebe, Brutalität, eine kindliche Poesie. Es gehe ihm gut, sagt der „Alte König in seinem Exil“ (Hanser Verlag). Allerdings unter Anführungszeichen, denn er sei nicht im Stand, es zu beurteilen. Das Buch dokumentiert, wie Alzheimer den Denkapparat sabotiert, wie die Familie, wie der Kranke selbst damit umgeht, als er das Fernsehprogramm für Realität hält und dem TV-Moderator Kekse anbietet, Pflegerinnen reihenweise in den Wahnisnn treibt und gleichzeitig zum kreativen Sprachakrobaten wird. Aus zukünftig wird adhoc kuhzünftig; danach gefragt, was er jetzt machen wolle, ist die Antwort: „Nichts. Das ist ja das Schöne. Das musst du erst mal können!“ Etwas, das wir uns hinter die Ohren schreiben sollten – während das eigene Hirn noch einigermassen funktioniert.