Midos Geschichte nimmt genauso viele Kurven wie der Weg zum aktuellen Sitz in Le Locle. Hier feiert das Uhrenlabel heuer seinen Hundertsten. Zeit für einen Blick zurück.
Luzern an einem Samstag. Die Gassen sind voll, die Parkplätze besetzt. Und das liegt nicht an den Schweizern, die in der malerischen Altstadt ihr Wochenende verbringen, sondern an den asiatischen Touristen, die sich in drei Wochen Europa anschauen und in der Schweiz nach Zürich und Bern nun auch am Vierwaldstättersee halt machen. Einsteigen, aussteigen, Foto machen. Letzteres ist in Luzern jedoch gar nicht erste Priorität. Das Ziel: eines der vielen Uhrengeschäfte. Die Beute: eine original Schweizer Uhr. Und davon am liebsten ein Modell, clean und classy, robust und wasserdicht. Attribute, die den asiatischen Touristen schnell zu einer Multifort oder einer Baroncelli von Mido greifen lassen. Mido – kein Name, der für sich spricht und keiner der ganz grossen Player, dessen Geschichte man mal eben aus dem effeff nacherzählt. Dabei gibt es hier mehr zu berichten als in einem Drei-Stunden-Blockbuster Platz hätte.
Let the game begin
Heute wirst du mit 20 Unternehmer, lancierst dank einer App ein Start-up oder lässt dich in einer TV-Show zum gefeierten Geschäftsmann coachen. Damals, 1918, ist noch alles anders. Georges Schaeren ist 36, ein Mann mittleren Alters, der als Uhrmacher seine Berufung gefunden hat. Es ist kein Job, kein einfacher Beruf, der den Magen füllt und das Dach über dem Kopf zusammenhält, sondern eine Leidenschaft, von der Schaeren auch noch träumt, wenn längst das Feierabendbier auf ihn wartet. Nur zusammenbauen und reparieren, was andere ihm bringen, macht ihn nicht mehr zufrieden, mehr noch, es lässt ihn zweifeln. An der Welt, am Leben, an sich selbst. Und so wettert er am Stammtisch, wälzt Ideen und überzeugt schliesslich auch den jüngeren Bruder Henri davon, eine eigene Firma zu gründen. Der Bruder investiert – Geld und den Namen Mido, abgeleitet vom spanischen „yo mido“ („ich messe“) –, ist aber noch nicht bereit, seine sichere Anstellung bei Omega aufzugeben. Später, vertröstet er den Bruder, später wird er sich ihm anschliessen. Doch erst mal geht es darum, die benötigten 200’000 Franken zusammenzukratzen, die es für den Start braucht. Klinken werden geputzt, Hände geschüttelt, Prognosen erläutert. Schliesslich ist die Kohle da, und Schaerens Visitenkarte schmückt endlich der neue Firmenname.
Weg mit der Achillessehne
Doch so einfach ist es nicht. Georges Schaeren versteht zwar sein Handwerk, weiss, wie Rädchen ineinander greifen müssen, damit aus Schrauben und Kleinteilen eine Uhr wird, doch zum Schreiben schwarzer Zahlen braucht es mehr. Henri lässt den Bruder nicht hängen, kommt mit an Board und tüftelt mit ihm gemeinsam an der Idee, die Mido zum Durchbruch verhelfen soll. Es ist die Zeit nach dem Krieg. Alles ist im Aufbau, jeder steckt im Umbruch, Hoffnung liegt in der Luft. Die Menschen sehnen sich nach Schönem und suchen das Gute im Alltag. Und so legen die Schaeren-Brüder los und kreieren Uhren, die die Fantasie anregen und Augen zum Glänzen bringen. Besonders beliebt: die von unterschiedlichen Kühlergrillen von Autos inspirierten Schmuckuhren, die Mido auf einen Schlag vom Insider aus Solothurn zum gefeierten Uhrenproduzenten machen. Doch Schönheit ist nichts für die Ewigkeit, und so modern die hübsch dekorierten Zeitmesser bald in den Schmuckschatullen vor sich hin. In der aufziehenden Wirtschaftskrise eine goldverzierte Uhr am Handgelenk zu tragen ist in etwa so fehl am Platz wie sich bei Blitz und Donner nackt aufs
offene Feld zu stellen. Weg mit dem Prunk, her mit der zündenden Idee, die dem mittlerweile nach Biel umgezogenen Label Mido neuen Aufschwung verleiht. Die Schaeren-Jungs stellen sich Fragen. Zwischendurch auch diejenige, ob sie mit Mido den richtigen Weg gegangen sind, klar, aber noch mehr danach, was sie selbst von einer Uhr erwarten. Sie soll die Zeit anzeigen, genau und präzise, zu allem passen, zum Sonntagsanzug wie zur Arbeiterhose, im Wasser, bei Regen oder beim Kicken mit dem Ball nicht gleich den Geist aufgeben. Alles Dinge, bei denen andere Uhren bis dato versagen. Georges und Henri tüfteln nächtelang, bis sie endlich auf etwas stossen, was später zum Markenzeichen werden soll. Die Krone ist die Achillessehne einer Uhr, das Glied, das als erstes bricht und das Teil, das die Schaeren-Brüder dank Naturkork so dicht verschliessen, dass Midos Uhren von einfachen Zeitmessern zu Superhelden werden.
Gelobtes Land
Amerika war nicht immer ein Land, vom Rest der Welt belächelt wie ein vor sich hin tobendes Kleinkind. Damals ist es Garten Eden, ein Ort wie ein fruchtbarer Boden, in dem jeder Samen Keime schlägt, egal wie klein und vertrocknet er auch ist. Und so ist es klar, dass auch die Schaeren-Brüder über den Atlantik blicken und dabei die Daumen drücken. So viel gibt’s da allerdings nicht zu drücken, Midos Uhren werden zum Selbstläufer. Der Ruf ist den Zeitmessern mindestens die Stunden voraus, die man bei der Überfahrt an Verschiebung einrechnen muss. Die Robustheit der Mido-Uhren bringt selbst hartgesottene Kerle zum Schwärmen: Nach dem zweiten Weltkrieg flattern zahlreiche Briefe auf den Schreibtisch von Georges Schaeren, geschrieben von Soldaten, deren Uhren Panzerangriffe, Bomben und Gefechte besser überstanden haben als ihre Seelen. Diese Worte, handsigniert, sind die beste Werbung – und kommen doch an den Erfolg eines gewissen Mr. Mido nicht heran. Mr. Mido ist ein Roboter, gezeichnet von Henri Schaeren und angedacht als Maskottchen. Wessen Herz die Soldatenstorys nicht erreichen, der schmilzt spätestens bei den bebilderten Abenteuern von Robo Mido dahin. Mit Geschichten verkauft sich alles einfach besser. Und so greifen die Schaeren-Brüder weiter in die Trickkiste, bringen ihre Uhren auf den Mount Everest oder an den Schlund von Vulkanen und schrumpfen ihr Modell Minimido schliesslich auf die Grösse einer Zehn-Cent-Münze. Das zieht – zumindest für den Moment. In den 60ern übernimmt die zweite Schaeren-Generation den Hebel, werkelt noch zehn Jahre an Innovationen und übergibt das Familienunternehmen schliesslich in die Hände der späteren Swatch Group. Jetzt ist Swatch-Guru Nicolas Georges Hayek am Drücker. Mido kommt von Biel nach Le Locle und positioniert sich nicht nur geografisch, sondern auch idealistisch neu. Architektonische Bauwerke werden zur Inspirationsquelle der neuen Zeitmesser, die man heute, 100 Jahre nach der Gründung Midos durch Georges Schaeren, am Handgelenk findet.