Aésop wirbt mit „maximaler Ehrlichkeit“. Wenn überhaupt geworben wird, denn eigentlich steht die australische Marke auf Understatement. So wird auch nicht mit Schampus auf das kürzliche 30-Jährige angestossen – denn das würde nicht zu diesem Unternehmen passen, das seine Produkte als Teil eines gesunden Lifestyles betrachtet.
Schönheit kann man kaufen. Das jedenfalls verspricht uns die Beauty-Industrie. Faltenfrei, straff, verjüngt – mit diesen Worten verkaufen sich Cremes besser als Regenschirme bei Niederschlag. Von Plakaten lächelnde Promis verdrehen uns zusätzlich den Kopf, während gephotoshoppte Gesichter in TV-Spots die ewige Jugend
beschwören. Neben den lauten, den grossen, den omnipräsenten Labels gibt es auch jene, die leise im Regal schlummern und sich nur denjenigen offenbaren, die sich nicht von Julia Roberts und Co. einlullen lassen. Aésop ist anders. Und das ist die Strategie des australischen Beauty-Labels, dessen Gründung über 30 Jahre zurückliegt.
Ein Grieche in Australien
Da war dieser Friseur, Dennis Paphitis, ein Grieche, damals 24 und gerade dabei, seinen eigenen Haar-Salon im australischen Armadale gross zu machen. Paphitis verstand es immer, sich mit seinen Kunden zu unterhalten. Während er ihnen die Haare wusch oder die Spitzen schnitt, warf er bereits damals mit Sprüchen um sich, die er noch aus dem abgebrochenen Philosophie-Studium kannte. Einer seiner liebsten, ein Zitat von Albert Camus, sollte es später sogar auf die Flaschen seiner eigenen Pflegelinie schaffen: „Keiner erkennt, dass so viele Menschen ihre Energie dafür verwenden, einfach normal zu sein.“ Normalität, Standard – damit wollte sich Paphitis schon damals nicht zufrieden geben, wenn er sich über den beissenden Ammoniak-Geruch von Haarfärbemitteln ärgerte. Wohlriechende Öle waren die Lösung –
und gleichzeitig der erste Dominostein, der Paphitis weg vom Salon und hin zum eigenen Label führen sollte. Die Idee: weniger Ingredienzen zu verwenden, dafür umso bessere. Dennis Paphitis tüftelte erst selbst, zog dann eine Chemikerin hinzu und gründete 1987 sein eigenes Label. Für den Namen griff er auf den griechischen Dichter Äsop zurück, änderte die Schreibweise und betitelte so seine Produkte: Aésop war da. Paphitis suchte nicht nach neuen Zutaten, nach Ingredienzen mit coolen Namen oder nach trendigen Bestandteilen, die er verkaufsfördernd auf die Etiketten seiner Produkte drucken konnte. Sein Erfolg gründete im Minimalismus.
Gutes rein, Böses raus
2018 ist es ein minimalistisches Kalkül, 1987 war es der reine Pragmatismus, der den jungen Aésop-Gründer Dennis Paphitis dazu brachte, seine Cremes und Seifen in dunkelbraune Glasflaschen zu füllen. Dunkel gelagert und geschützt vor der Sonne kommen diese so nämlich ohne viele Konservierungsstoffe aus – etwas, das die Menschen damals noch nicht so richtig wertschätzten. Schliesslich war es die Zeit der stark parfümierten Cremes und der über Kilometer hinweg duftenden Shampoos. Heute achtet man mehr aufs Etikett und das Kleingedruckte und weiss, dass in Sachen Ingredienzen mehr nicht unbedingt besser ist. Ein Credo, das Paphitis mit Aésop seit Beginn verfolgt. Er füllt das Gute in die Flaschen und lässt das Böse draussen: Keine Tierversuche, auf Parabene, Sulfate, Mineralölderivate und künstliche Duftstoffe wird bewusst verzichtet, während man auf viele natürliche Inhaltsstoffe setzt. Aber nicht nur, möchte man doch auf die Erfolge aus dem Labor nicht verzichten. Wissenschaft trifft Natur – eine Symbiose, die aufgeht. An Formulierungen tüftelt man bei Aésop schon mal gut und gerne ein paar Jahre, während andere Saison für Saison haufenweise Produkte auf den Markt schleudern. Alleine auf Aésops SPF 15 Gesichtscreme muss der Konsument zehn Jahre lang warten. Und das, obwohl die reine Optik keinesfalls auf das kostbare Innere schliessen lässt. Die Flaschen und Tiegel sehen nämlich alle gleich aus: dunkelbraunes Glas, beigefarbene Etikette, schwarzer Druck. Darauf zu sehen: der Name, die Ingredienzen und Zitate, die Paphitis noch heute am liebsten selbst aussucht. „Un-designed Design“, nennt das der Gründer. Es ist diese Philosophie – entdeckt zu werden, anstatt selber auf die Jagd zu gehen –, die die Faszination ausmacht. Demselben Motto haben sich auch die Stores verschrieben, seit Aésop 2004 seine ersten Kunden in einem Keller im Melbourner Viertel St. Kilda empfing. Über 140 Geschäfte sind es heute weltweit an der Zahl, neun davon alleine in Melbourne, 40 sollen jährlich dazu kommen. Wenn nicht bei den Produkten, wird jedenfalls hier auf Individualität gesetzt. Neues Geschäft, neuer Architekt – jeder Shop ist einzigartig. Das einzige, was allen gleich bleibt, ist diese Aura einer alten Apotheke. Die Verkäufer halten sich zurück, das Inventar erinnert mal an ein Hipster-Wohnzimmer, mal an eine japanische Druckerei. Waschbecken sind zentraler Bestandteil der Aésop-Strategie, beginnt doch jeder Besuch eines Kunden mit dem Waschen der Hände. Das schafft Nähe und zerstört Barrieren. Wenn auch nur diejenige, für 500 Milliliter Seife 30 Euro auszugeben.
Neue Freunde
Dennis Paphitis ist heute 55 und nur noch als Berater im Aésop-Hauptquartier in Melbourne zu Besuch. „Director of Quote Searching“ nennt er sich spasseshalber selbst. Denn es stehen andere Projekte in der Pipeline: Flüchtlingsinitiativen, Concept-Stores, ja Paphitis hat noch mehr Ideen. „Ich definiere Luxus nicht darüber, was man behält, sondern über das, was man entfernt“, sagt der Aésop-Gründer. Das gilt wohl auch für die eigene Firma: 2010 verkauft er einen Grossteil des Unternehmens
an die Harbert Australia Private Equity und überlässt den Chefposten dem sechs Jahre jüngeren Michael O’Keeffe, mit dem er bereits seit 2003 gemeinsam am Erfolg von Aésop bastelt. O’Keeffe kommt aus der Finanzberatung, einer der staubigen Ecken der Geldscheffel-Branche. Doch er lebt für die Marke, wirft in Interviews selbstbewusst mit Phrasen um sich und donnert laut: „Anders zu sein, ist wirkungsvoller und nachhaltiger als besser zu sein.“ Damit führt er weiter, was Paphitis begann, über den O’Keeffe liebevoll vom „Künstler und Philosophen“ spricht. Seit 2012 mischt übrigens auch der brasilianische Kosmetikkonzern Natura Cosmeticos bei Aésop mit – und zwar mit 65 Prozent Anteilen. Das Unternehmen ist spezialisiert auf Naturkosmetik, macht sich stark für Biodiversität, Nachhaltigkeit und regionale Produktion und setzt sich gegen Tierversuche ein. Seit Ende 2017 gehört auch Kosmetikkollege The Body Shop zum brasilianischen Superkonzern, dem grössten Beauty-Unternehmen Südamerikas. Es ist ein neuer Spieler, der sich gegen die Grossen aus Frankreich stellt und der das Rennen um die Plätze im Badezimmerschrank endlich wieder spannend macht.
Weitere Informationen zu Aésop gibt es hier.