Die Geschichte Guccis liest sich wie ein Bestseller-Roman. Intrigen, Fehden, Mord – hübsch flankiert von Kleidung, Taschen und Accessoires. Gucci ist die Schmiede schillernder Figuren, begonnen bei seinem Gründer Guccio Gucci, über Tom Ford und Frida Giannini bis hin zum neuen Rockstar im Mode-Universum: Alessandro Michele.
Coco Chanel mit ihrem schwarzen Kleid, Yves Saint Laurent mit seinem Anzug. Noch immer ging es in der Mode darum, Konventionen an die Wand zu tackern, Grenzen auszutesten, Neues aufs Parkett zu bringen. Und doch dauert es denkbar lange, bis sich 2015 alle Beobachter der ersten Kollektion von Alessandro Michele für Gucci aus der Schockstarre befreit haben. Transparente Blusen, die jede Rippe der abgemagerten Models zeigen, mit Blüten bedruckte Anzüge, die selbst einem Jungen zu eng wären, Schluppen wohin das Auge blickt, Oma-Brillen und rosafarbene Männerhemden. Das war kein Phoenix, der da aus der brachliegenden Asche des italienischen Modelabels auferstand, das war ein Aufschrei, lauter als es selbst Branchenkenner erwartet hätten. Dieses verrückte Durcheinander ist kein Irrsinn eines verzweifelten Neuen, der den Fussstapfen seiner Vorgänger Tom Ford und Frida Giannini nicht gewachsen ist. Wer nicht wagt, geht unter. Das Wagnis zahlt sich aus, zeigt sich in den Verkaufszahlen und schliesslich im aktuellen Hype, der Gucci entgegenschwingt. Um zu verstehen, wie es dazu kommt, dass ein langhaariger Typ, der auch in Monty Pythons „Das Leben des Brian“ hätte mitspielen können, das Traditionshaus aus den Angeln hebt, beginnen wir ganz am Anfang.
Von der Sattlerei zur Modefabrik
Zu Beginn, da steht nämlich Guccio Gucci, ein einfacher Italiener, der 1906 damit beginnt, in Florenz Ledertaschen an Reiter zu verkaufen. 1921 gründet Gucci seine Firma, die er später gemeinsam mit seinen Söhnen Aldo, Vasco und Rodolfo führt. Aus der Sattlerei wird nach und nach eine Firma, deren Produkte die Aufmerksamkeit auf sich ziehen wie Honig die Fliegen. Gucci schafft sich Ikonen: etwa den Bambus-Henkel, gefertigt aus echtem Bambus, oder die grün-roten Streifen, die prominent platzierten Initialen „GG“ nicht zu vergessen. Weil importiertes Leder damals unglaublich teuer ist, tüftelt Guccio Gucci mit gewebtem Hanf, bedruckt diesen mit dunkelbraunen Diamanten und doppeltem G und fertigt daraus seine ersten Taschen. Bis Mitte der 50er eröffnet Gucci Geschäfte in Rom, Mailand und New York. Nur kurz nachdem der Rauch um den ersten US-Store verflogen ist, stirbt Guccio Gucci. Nach dem Tod des Vaters übernehmen Aldo und Rodolfo die Firma und polieren sie auf Hochglanz. Der gute Ruf des italienischen Handwerks und der Mut, Designs zu präsentieren, die bei anderen im Mülleimer landen würden, verhelfen Gucci zu internationalem Ansehen. Wer nach Italien reist, schaut bei Gucci vorbei. Mit dem Erfolg von Stars wie Grace Kelly, Jackie Kennedy oder Audrey Hepburn, alle ganz vernarrt in die Entwürfe Guccis, steigt auch der Absatz. Die monegassische Prinzessin lässt gar extra ein Foulard für sich entwerfen, das mit jedem ihrer Auftritte mehr und mehr am Klassikerstatus kratzt. Nach dem steilen Aufstieg und dem brillanten Wachstum in den 50er und 60er Jahren flacht die Kurve während der 70er merklich ab. Das mag an den Lizenzen liegen, die das Unternehmen vergibt, oder der Tatsache, dass 1953 mit Guccio Gucci der kreative Kopf verstorben ist. Dazu kommen die
Unruhen, die in Guccis Nachlass schlummern.
Familienwahnsinn
Die Brüder sind sich nicht einig darüber, wo die Reise hingehen soll. Und als sich auch noch ihre Sprösslinge einmischen, versinkt Gucci in einem Strudel aus Fehden und Intrigen. Aldo versucht mit Schlüsselanhängern und kleineren Accessoires das Label jünger zu machen. Schöne Idee, leider schlecht durchdacht. Das Image leidet unter den billig produzierten Teilen und bekommt endgültig einen Knacks, als Fälscher die Basare dieser Welt mit schlecht gemachten Kopien überschwemmen. Aldos Sohn Paolo ist außer sich und versucht mit allen Mitteln, den Vater aus der Firma zu drängen. Schliesslich beschuldigt er ihn der Steuerhinterziehung, und Aldo landet im Knast. Einer ist weg, doch Cousin Maurizio, Rodolfos Sohn, mischt mit seinen eigenen Ideen kräftig im Topf. Der eine steuert nach links, der andere nach rechts – und weil das italienische Blut bisweilen genauso kocht wie die Tomatensauce auf dem Herd, kommt es schliesslich zum Bruch. Der eine spricht nicht mehr mit dem anderen, Gucci zerfällt und geht an die anglo-arabische Firma Investcorp. Maurizio bleibt der einzige Beteiligte. In kurzer Zeit verliert Gucci rund 60 Millionen Dollar, und Investcorp zwingt auch ihn, seine Aktien zu verkaufen. Nach 72 Jahren in Familienhand bleibt von Gucci nur noch der Name.
Aggressive Sexiness
Dann kommen die 90er und mit ihnen Tom Ford. Der neue Kreative wirbelt die italienische Mode ordentlich auf und verhilft längst totgeglaubten Ikonen zu neuem Glanz. Ford macht Gucci sexy. Das Kelly-Foulard wird neu aufgelegt, die bekannten Mokassins ebenso. Die Marke ist längst so weit, dass Lizenzgeber ihre Parfums, Uhren, Schmuckstücke und Sonnenbrillen vertreiben. In nur vier Jahren steigt der Gewinn Guccis von 250 Millionen auf rund 1 Milliarde Dollar. Auch der neu eingesetzte CEO Domenico De Sole hat Pläne und will die Marke von allem befreien, was sie im seichten Gewässer dümpeln lässt. Schlagzeilen müssen her! Vorsicht davor, was man sich wünscht. 1995 wird Maurizio Gucci von einem Auftragskiller erschossen – die Mafia soll’s gewesen sein, tatsächlich war’s die Ex-Frau. Jeder ist geschockt, alle kaufen weiter. Zwischenzeitlich verkauft Investcorp einzelne Gucci-Aktien an LVMH und dessen CEO Bernard Arnault. Ein Supergau für Domenico De Sole, der den Einfluss von LVMH auf das Modeunternehmen als Bedrohung sieht. Er schließt sich mit der französischen PPR (Pinault-Printemps-Redoute) zusammen – ein Rechtsstreit zwischen Gucci, LVMH und PPR ist die Folge, der erst 2001 beigelegt wird. PPR kauft die Anteile von LVMH an Gucci auf und gründet in Folge die Luxus-Division Gucci Group (2013 wird PPR in Kering umbenannt und hält heute nach wie vor den Mehranteil an Gucci). Während in der oberen Etage Ruhe einkehrt, brodelt es weiter unten. 2005 wird Tom Ford durch Frida Giannini ersetzt. Die Blondine, die davor bereits vier Jahre im Unternehmen gearbeitet hat, erhöht den Umsatz und steigert den Profit um ganze 25 Prozent. Vier Jahre später lässt P&G das Parfumgeschäft Guccis in die Höhe schnellen. Doch auch Gucci kämpft mit dem Markt, der sich in einem Umbruch befindet, dessen Ende keiner kennt. Die Marke hat ihre Ikonen, ihre Klassiker, doch die junge Generation noch nicht ganz am Haken. 2007 zeigt Gucci erstmals eine Kampagne im TV. Der Regisseur: David Lynch. Die Italiener trauen sich wieder was und gehen Risiken ein – und das alles pünktlich zum 90-jährigen Jubiläum 2011. Mittlerweile hat sich Frida Giannini als Creative Director ihren Namen gemacht. Ihre Entwürfe sind eine Mischung aus Country und Rock’n’Roll, ein bisschen nachlässig, ein wenig mondän, gerade so, dass man hinschaut. Die Inspiration holt sie sich aus der Musik, von ihren 7’000 Alben, die sie von ihrem Onkel, einem DJ, geerbt hat. Die blonde, immer perfekt gebräunte, knallharte Frau führt ein strenges Regiment. Von den einen geliebt, von den anderen gehasst. Und genauso läuft es mit den Kritikern, die ihre Kollektionen mal in den Himmel loben und mal zerreissen wie ein Stück Papier. Das geht an die Substanz, und irgendwann ist die Luft draussen. „Die aggressive Sexiness war nie ein Teil meiner DNA“, erklärt Giannini später ihre Vision von Gucci, wenn sie mit derer Tom Fords verglichen wird. Während Ford für Sexiness sorgte, machte Giannini das Label cool.
Der Neue
2014 brechen die Umsätze in drei Quartalen hintereinander ein. Das Problem ist akut und liegt nicht nur in der Geschäftsleitung, sondern auch in der Ästhetik. Frischer Wind muss her. Am besten sogar ein neues Gesicht, das Gucci durch eine neue Brille sieht. Die Wahl fällt auf Alessandro Michele – auf den Mann, der bereits zwölf Jahre bei Gucci Accessoires entworfen hat. Gemeinsam mit dem neuen CEO Marco Bizzari soll er das Label jünger machen. Eine Mission, die sie nicht als einzige verfolgen. Die Mode jagt die Millennials wie Märchenhelden die Drachen. Das Erfolgsrezept steht nirgends, jeder mischt in den Kessel, was ihm gerade so passt. Ein paar Tropfen Nostalgie, ein paar Prisen aus dem Archiv, ein kräftiger Schluck Jugend, dazu kommen frische Ideen und die wichtigste Zutat: Spass. Michele versteht es, Mode nicht zu ernst zu nehmen. Er schmeisst Stilregeln über Board, spielt mit Formen und Mustern geradeso wie ein Kleinkind im Sandkasten. Luftschnappen! Kreischen! Die Branche schüttelt erst mal den Kopf, so wie sie es immer tut, wenn sich einer aus dem Korsett der Konventionen kämpft. CEO Bizzari stärkt dem neuen Creative Director den Rücken, setzt auf Social Media, auf E-Commerce und Online-Marketing. Zwischen 2015 und 2016 verdoppelt Gucci seine Interaktionen in den sozialen Medien. Und bevor Forbes das Label im Mai 2017 mit einem geschätzten Markenwert von 12.7 Milliarden auf Platz Nummer 47 der wertvollsten Unternehmen der Welt setzt, steigert Gucci mal schnell im ersten Quartal des Jahres seinen Umsatz um ganze 48 Prozent. Die neue Strategie geht auf. „Um modisch etwas Neues zu schaffen, muss man verrückte Dinge tun“, erklärt Michele seine Entwürfe. Mit Labels bedruckte Pyjamas, nach Borat-Manier bis zum Bauchnabel reichende Ausschnitte, Fledermäuse, Bienen, Libellen und alles mögliche andere Getier, das so durch die Luft schwirrt: Das ist die aktuelle Winterkollektion von Alessandro Michele. Er hat Gucci nicht nur aus dem Schlaf gerissen, sondern dem Label eine ordentliche Dosis Exzentrik verpasst. Oder Ecstasy – wie man’s nimmt.