Eine giftgrüne Flüssigkeit, die ewige Schönheit garantiert – wer würde da nicht zur Spritze greifen? Demi Moore und Margaret Qualley brillieren in Coralie Fargeats satirisch-feministischer Body-Horror-Komödie „The Substance“, die das Potenzial zum Kultklassiker hat.
Hochgeschnittene Trainingsanzüge mit viel Beinfreiheit, etwas in die Jahre gekommene Moves à la Jane Fonda: Elizabeth Sparkle (Demi Moore), einstiger Hollywoodstar, hat die Oscarrollen gegen eine morgendliche TV-Fitnessshow eingetauscht. Mit fünfzig gilt sie laut ihrem schmierigen Produzenten Harvey (Dennis Quaid) jedoch als Greisin und soll schleunigst von einer jüngeren, sexyeren Version abgelöst werden. Elizabeths angestauter Selbsthass beginnt zu brodeln, und so kommt ihr die Nummer eines Arztes gerade recht, der ihr kryptisch versprochen hat, eine gewisse Substanz werde ihr zur gewünschten ewigen Jugend verhelfen. In einer düsteren Seitenstraße lagern die lebensverändernden Utensilien im personalisierten Schließfach.
Fast wie neu
Zurück in ihrem Luxus-Loft injiziert sich Elizabeth in ihrem schneeweißen, überdimensionalen Badezimmer die grüne Substanz. Nach wenigen Sekunden geht’s los mit Body-Horror à la David Cronenberg: Die Wirbelsäule spaltet sich, Blut fließt, und empor steigt Sue (Margaret Qualley) – Elizabeths jüngeres, perfekteres Ich, während die alte Hülle regungslos am Boden liegt. Und plötzlich sind da zwei, die doch eins sind: Dr. Jekyll und Mr. Hyde der Moderne. Überhaupt ist der Film randvoll mit Verweisen auf Literatur- und Filmklassiker. Auch an „The Picture of Dorian Gray“ muss man unweigerlich denken. Nur kann die alternde Version nicht wie Dorians Gemälde auf dem Dachboden verstaut werden, sondern nimmt immer noch am Leben teil. Alle sieben Tage gibt’s einen Schichtwechsel. Die eine lebt und liebt, die andere liegt scheintot im Badezimmer und wird mit Flüssignahrung gefüttert.
Kampf gegen Zeit, Patriarchat und das Selbst
Für Sue sind die sieben Tage jeweils eine einzige Party, macht sie sich doch sogleich das Rampenlicht zur Heimat und wird zu Elizabeths Nachfolgerin. Sie ist schließlich jung und schön – nach wie vor die Währung, mit der Frauen bezahlen. Ihre Aerobic Show „Pump it up with Sue“ ist wunderbar überbordend gefilmt, mit Close-ups und Weitwinkeln, vibrant, knallig und als augenzwinkernde Hommage an die Achtzigerjahre. Sue fegt über das Parkett, die Zähne weiß, die Haut glatt, das Lächeln überdimensional. Glitzer, Latex, Plastik – alles ist ein bisschen aus der Zeit gefallen und restlos übersexualisiert. Und doch sind wir fernab der Leinwand noch gar nicht viel weiter – Botox, BBLs und Ozempic sei dank.Einmal pro Tag muss dem außer Gefecht gesetzten Ich Flüssigkeit entzogen werden, um das lebendige Selbst zu stabilisieren. Klar, geht das ganz schön schnell schief, als Sue merkt, dass sich die Regeln biegen lassen. Für jeden extra Tag, den sie sich erschummelt, altert Elizabeth im Rekordtempo, bis sie monströs entstellt ist. Demi Moore ist die Rolle wie auf den Leib geschnitten, türmen sich doch die Schlagzeilen um ihre „Botox Fails“. Und die Boulevardpresse versucht sich zuhauf an komplizierter Mathematik, um herauszufinden, wie viel ihres Vermögens sie für Beauty-Prozeduren ausgegeben hat. In Hollywood über 60 und weiblich zu sein und noch immer leben und arbeiten zu wollen, scheint für viele eine Provokation. Da ist „The Substance“ trotz satirischer Überspitzung so nah an der Realität, dass ein Hauch Dokumentarfilm mitschwingt. Gäbe es diese Substanz wirklich – einige Hollywoodsternchen würden nach der Spritze greifen.
Kultklassiker in the making
Auch wenn sich Coralie Fargeat einmal quer durch die Literatur- und Filmgeschichte zitiert – auch Brian de Palmas „Carrie“ und Stanley Kubricks „The Shining“ lassen grüßen – bleibt ihr Film ein Original. „The Substance“ ist lauter und feministischer als die Inspirationsgeber. Er ist von A bis Z over the top und in your face – und hat genau darum Potenzial, zum Kultklassiker zu werden. Die Metaphern muss man hier nicht mühsam aufschlüsseln, denn sie werden einem in den extremen Close-ups vor die Augen gehalten und mit wuchtigem Sounddesign ins Ohr geschrien. Fargeat und einige ihrer Weggefährtinnen, wie Julia Ducournau mit „Titane“, machen das etwas abseitige Subgenre des Body-Horror nicht nur massentauglich, sondern verleihen ihm eine bisher wenig vorhandene weibliche Sichtweise. Dabei geht es nicht darum, Moralapostel zu spielen. Wir alle wissen, dass Schönheitsideale für Frauen absurd und mit Social Media völlig aus dem Ruder gelaufen sind. Männer leben ihren Sexismus tagtäglich aus, während Frauen ab dreißig unsichtbar werden. Statt an den patriarchalen Strukturen zu verzweifeln, verwebt Coralie Fargeat deren frustrierende Persistenz in den unterhaltsamsten und cleversten Film des Jahres. In dieser Welt als Frau zu existieren kann ganz schön mies sein – ein Film, der mit seinem grotesken Humor so fulminant entgleist wie „The Substance“, spendet mehr Trost, als es eine seriöse Auseinandersetzung mit dem Thema tut.
Man kann sich auch ganz ohne Giftspritze und Blutbad um seine Schönheit kümmern: Hier sind unsere harmlosen Beautytrends des Monats.
Ab dem 19. September kannst du dir Coralie Fargeats schaurig-schönes Spektakel auf der großen Leinwand anschauen. Zum Beispiel hier.
Fotos: ©Filmcoopi