Schon blöd, wenn einem die Natur keine Wurzeln gegeben hat. Seit vier Jahrzehnten treibt Helge Timmerberg über den Globus – und schreibt darüber. Zum Glück. Denn Worte können die Welt vielleicht nicht verändern, aber wunderbar treffend beschreiben. Zumindest jene dieses melancholischen Rock’n’Rollers.
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Lieber Helge. Sechs Zeilen bist du Wikipedia wert. Natürlich ein schlechter Witz nach 40 Jahren on the road. Deinen Urlaub verbringst du daheim auf dem Sofa. Obwohl, was heißt schon daheim? Marrakech, St. Gallen, Wien oder die Check-In-Halle des nächsten Flughafens? Wahrscheinlich suchst du Bestätigung aber auch nicht in einer Cyberspace-Enzyklopädie. Zum Facebook-Account mussten sie dich quasi prügeln, dein letztes Handy hast du vor Jahren weggeschmissen. Bist halt einer vom Schlage eines Thompson, Wolfe oder Lester Bangs, hast in Hotelzimmern von Vaduz bis Vietnam auf die Schreibmaschine eingehackt, den Redaktionsschluss wie einen Revolver im Rücken. Anfangs noch beim hessischen Käseblatt, im Laufe der Jahrzehnte dann für Bild, Zeit, Rolling Stone, Playboy und natürlich Tempo. Dazu 13 Bücher, Gonzo-Romane, Beziehungsratgeber und die Erzählung deines Überland-Trips nach Indien während der Hochblüte der europäischen Flower-Power-Bewegung, als 17-Jähriger mit 500 D-Mark in der Tasche, viel Grün hinter den Ohren und auch ein bisschen in der Lunge. Gelegentlich.
Eines dieser Bücher – die Anekdotensammlung „Tiger fressen keine Yogis“ (Piper, 2004) – war für mich die Offenbarung. Eine Art Neues Testament des Reportagehandwerks. Journalisten, dachte ich davor, das sind diese spitzfindigen Klugscheißer, welche die Welt mit Skalpell und Chirurgenhandschuhen sezieren, während sie an ihrem Schreibtisch kleben. Denen rinnt doch höchstens ein Schweißtropfen über die Stirn, wenn im Sommer die Klimaanlage ausfällt. Doch du, Helge, kommst mit Machete und hochgekrempelten Ärmeln daher. Einer, der auf seinen Expeditionen in die Schattentäler der Spaßgesellschaft auch mal Scheiße frisst. Oder sie wenigstens mit den vollgeschriebenen Seiten seines Notizbuchs wegwischt, wenn in Indien das Klopapier ausgeht. Korrespondenz aus dem Golfkrieg? Du stellst dich mitten im Bombenhagel auf eine Dachterrasse in Tel Aviv. Ein Artikel über Viagra für eine österreichische Illustrierte? Yeah Baby, reich mir das Don-Juan-Kostüm. Du schmeißt das blaue Bällchen ohne zu zögern und guckst, was passiert (ganz nebenbei: zwei polnische Stewardessen passieren).
Ähnliches hast du schon mit fast allen Substanzen gemacht, die zwischen Jimi Hendrix und Amy Winehouse irgendwie den Weg an die Oberfläche der Popkultur gefunden haben: Prozac, MDMA – quasi ein Pillentester im Nebenamt. Weil nämlich, wie ich zwischen deinen Zeilen lese, die Erfahrung am Ende stärker ist als die umfassendste Recherche. Eine Erkenntnis, die einem Großteil der Generation Google fehlt. Natürlich, man tut sich so auch mal weh. Doch die tiefsten Narben, lieber Helge, die trägst du unter deiner sonnengegerbten Haut. Einmal – ich glaube, da du sitzt gerade in einem Café in Venedig – vergleichst du deine gescheiterten Frauengeschichten mit Umzugskartons, dein ganzer Keller sei voll davon. In einem jüngeren Zitat schilderst du, dass du der Umarmung der Liebe nicht mehr traust, das Messer in ihrer Hand fürchtest. Schmerzgedächtnis nennt man das. 60 bist du heute, wo jeder Lifestyle-Redaktor seinen Echtzeit-Blog führt und Goas Sandstrände mit den Leibern bekiffter Russen bedeckt sind, von der Sonne so rot gebrannt wie einst Lenins Flaggen. Dein Haar jedoch ist noch dicht und lang und mit den grauen Stoppeln und dem Sanftmut im Blick erinnerst du an Jesus. Oder an den Verkäufer der Obdachlosenzeitschrift vor dem Türkenladen. Du guckst gern in die Flammen des Lagerfeuers und streichelst dazu deine Gitarre, ein bisschen Hippie, Helge hat euch lieb! Gehst den Menschen von Kreuzberg bis Pattaya mit nüchterner Unvoreingenommenheit entgegen.
Und nun bist du endlich in Afrika gewesen, respektive: einer Frau dorthin gefolgt. Einer, die deine Tochter sein könnte, rein alterstechnisch betrachtet. Aber dass Jugend nichts mit Alter zu tun hat, wem sagen wir das. „African Queen“ steht auf dem buchgewordenen Produkt des Trips, der Untertitel verspricht: Ein Abenteuer. Dabei sind es zwei. Einerseits natürlich die Krokodile, Schamanen, die verlotterten Propellermaschinen. Du kuschelst dich in der Serengeti in die Wiege der Menschheit, begegnest dem Zebra („Fell gewordenes LSD“), Giraffen, Elefanten. In Senegal probierst du Weed und Voodoo (oder besser: du wirst probiert) und irgendwo dazwischen klappert die Malaria mit deinen Knochen ein Ständchen. Und anderseits eben, ist der Steppenwolf diesmal zweisam unterwegs. Manchmal ist das schön. Meistens ist es nicht ganz einfach. Eifersucht, Ungewissheit, emotionale Achterbahn, die Dynamik und Konflikte, wenn zwei starke Charaktere aufeinanderprallen. Während der Monate auf dem Schwarzen Kontinent hast du wohl ein paar Liter Schweiß verloren, mehrmals die Geduld und die Beherrschung und einmal sogar fast die Vernunft. Aber vielleicht hast du auch etwas gefunden: die Liebe. Oder wenigstens so was in der Art.