Das Meer spuckt Wellen wie ein speiender Vulkan seine Lava, richtige Brecher, gross wie Häuser und so hungrig, dass sie dich mitsamt Board und Suit verschlucken könnten. Diese Surferinnen sind furchtlos, gieren nach der Strömung und wagen sich in Gewässer, deren blosser Anblick gestandenen Wellenreitern den Puls bis zum Hals drückt. Frauen und Mädchen, Schwestern und Einzelkämpfer: In Carolina Amells „Surf Like a Girl“ surfen sie alle gemeinsam – entschlossen, frei und unabhängig.
Nicole Gormley
Andere zum Handeln zu bewegen – das ist Nicole Gormleys Ansporn. Die Kompetenz liefert das Meeresbiologie-Studium, das Werkzeug ist ihre Kamera. Damit hält sie fest, was der Mensch mutwillig zerstört, wenn er den Ozean mit Plastik verseucht oder die Promenade zubetoniert: die Natur, in die sie sich genauso sehr verliebt hat wie ins Surfen auf den Wellen vor der kalifornischen Küste.
Anaïs Pierquet
Das Leben ist wie der Ozean. Manchmal tief und stürmisch, manchmal seicht und ruhig. Als Anaïs Pierquet den Vater verliert, stürzen alle Wellen gleichzeitig auf sie ein, die Brandung, die Gischt. Durchgewirbelt von den Emotionen zieht sie nach Bali, stellt sich aufs Brett und findet beim Paddeln gen Horizont endlich wieder schöne Gedanken.
Elle Sampiere
Gesellschaftliche Konventionen sind die Fesseln unserer Generation. Nichts für Elle Sampiere, die die Eisen über ihre zarten Gelenke streift und einfach das tut, was sie will: Surf-Profi zu werden, als zierliche Blondine im männerdominierten Sport. Sie reist durch die Welt, von Contest zu Contest, um ein für alle mal zu beweisen, dass Können keine Frage des Geschlechts ist. Sondern des Willens.
Ikit & Aping Agudo
Gäbe es ein irdisches Paradies, es läge auf den Philippinen. Hier sind Ikit und Aping aufgewachsen, auf der Insel Siargao, in einer Familie, die viele Mäuler stopfen muss. Zwischen der Schule, der Arbeit auf dem eigenen Reisfeld und dem Aushelfen auf Papas Fischerboot blieb schon immer Zeit fürs Erkunden des Meeres, das hier vor Ikit und Apings Haustüre liegt wie der rote Teppich vor dem Dolby Theatre in L.A.. Das Longboard ist Werkzeug und Liebhaber in einem, die Möglichkeit, Geld zu verdienen und das Leben zu geniessen.
Anne Taravet
Vorurteile, Gegenwehr. Bis Anne Taravet endlich auf dem Brett stand, ging’s erst mal heftig zur Sache. Surfen sei was für Junkies, meinten die Eltern, oder für Jungs, die marokkanische Gesellschaft. Der Umzug von Marokko nach Frankreich machte sie zu einer von zehn Surferinnen der Nation, Wettbewerbe folgten, Preise, Pokale. Doch der Kampf um den Sieg war nichts für die heute 61-Jährige, die noch immer am liebsten die Stille geniesst, die ihr Board und Meer verschaffen.
Liz Clark
20’000 Seemeilen liegen hinter Liz Clark. Seit 2006 ist sie auf ihrem Segelboot unterwegs. Suchend, fragend. Sitzt sie nicht auf dem Deck und schreibt in ihr Logbuch, ermutigt sie andere Menschen dazu, das Meer und die Natur zu schützen, oder springt samt Board in die Brandung, wo sie auf den Wellen die Ruhe findet, die ihr das Segeln nicht geben kann.
Samia Lilian
Schwedisches mischt sich in den Adern von Samia Lilian mit singhalesischem Blut. Ein wilder Cocktail, der sich in ihren Gesichtszügen spiegelt und in ihrer Selbstsicherheit, mit dem sie das Longboard steuert als wäre es der Joystick einer Spielkonsole. Sie ist die erste Frau, die in Sri Lanka aufs Brett steigt – weil sie nicht anders kann, weil sie es liebt, Sand im Haar, Salz auf der Haut, und weil es sich für die Chefdesignerin des Magazins Surf Sri Lanka gebührt.
Tiffany Carothers, Martina Burtscher & Amanda Prifti
Das Leben als Frau in Sri Lanka ist ein Hürdenlauf. Bikini? Geht’s noch? Surfen? Männersache! Die Amerikanerinnen Tiffany und Amanda bauen gemeinsam mit der Österreicherin Martina und einheimischen Frauen den Arugam Bay Girls Surf Club auf, ermutigen letztere dazu, sich trotz Sari in die Wellen zu wagen und sich für ihre Liebe zum Ritt auf dem Brett nicht zu schämen.
Stéphanie Goldie
Sie hat zwei Söhne, süss und gesund, und stand vor der Geburt des zweiten bis in den achten Monat auf dem Brett. Vielleicht liegt diese Unbeschwertheit an der französischen Luft, vielleicht aber auch an der Tatsache, dass die Hebamme stets an Stéphanies Seite die Wellen bezwang. Vor zwei Jahren gründete sie mit Freundinnen Elles Surf, eine Plattform für Surferinnen, die sich genauso furchtlos in die Fluten stürzen.
Camille Robiou du Pont
Das kalte Frankreich lässt sie hinter sich, begibt sich nach Asien, auf die Philippinen, wo sie filmt und fotografiert und sich von der Natur inspirieren lässt. Wo die Französin Camille mit dem klingenden Sing-Sang-Nachnamen Robiou du Pont hin möchte, weiss sie nicht – muss sie auch nicht. Im Moment reicht es, dass sie ihr Glück auf dem Brett findet, morgen für morgen, Tag für Tag.
Surf Like a Girl
Von Portugal bis Hawaii. Im Atlanik oder Pazifik. Stehend auf dem Board oder in Yoga-Pose. Eines haben die Surfer, die Carolina Amell in ihrem Buch versammelt, gemeinsam: Sie sind Frauen. Baby-Bauch oder hohes Alter? Keine Gründe, das Brett in den Sand zu legen und sich die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen. Frauen allen Alters, jene, die Surfen wie Meditation verstehen, und andere, die Ehrgeiz und Nervenkitzel immer wieder von Neuem raus aufs Meer hinaustreiben, machen „Surf Like a Girl“ zum Ansporn, selbst loszulegen. Carolina Amell, „Surf Like a Girl“, Hardcover, Prestel, ca. 50.–