Es gibt viel, was man sammeln kann. Briefmarken, Kristalltiere, Fingerhüte, Puppen. Coole Menschen sammeln Schallplatten, und Eilon Paz ist einer von ihnen. Für sein Buch „Dust & Grooves“ reiste er um die Welt, traf andere Vinyl-Liebhaber, sprach mit ihnen über ihre Leidenschaft und fotografierte ihre Heiligtümer. Entstanden sind einzigartige Einblicke in die weltweit faszinierendsten Plattensammlungen und wundervolle Portraits ihrer Besitzer.
Wenn sich in Questloves Terminplan ein Zeitfenster auftut, nimmt man es wahr – und sei es in letzter Minute am Nationalfeiertag. Als Schlagzeuger der legendären Hip-Hop-Band The Roots, Bandleader in der Tonight Show mit Jimmy Fallon, Professor an der Universität New York und Rund-um-die-Uhr-DJ legt Questlove kaum mal eine Pause ein. Minuten nachdem ich erfahren habe, dass er Zeit hat, rase ich mit Eilon über den Turnpike in die MilkBoy-Studios in Philadelphia, um einen der
am schwersten arbeitenden Männer im Showgeschäft seit James Brown zu interviewen. Wir haben eine Stunde, um ihn und seine Vinylsammlung zu fotografieren – gerade genug für ihn, um über seine Liebe zur Musik und die lebenslange Jagd nach Platten zu sprechen.
An unserem Ziel angekommen – einem unscheinbaren Gebäude in einem Industriegebiet –, sagt uns nur die Aufschrift „The Studio“ auf dem Briefkasten, dass wir an der richtigen Adresse sind. Ein Mercedes Sedan mit abgedunkelten Scheiben fährt vorbei und hält an. Questlove steigt aus, in einem Jackson-5-Kapuzenpulli und mit seinem berühmten Afro mit Black-Power-Kamm. Wir folgen ihm, stellen aber bald fest, dass wir ausgesperrt sind – wir alle. Die Zeit läuft, weil er in knapp einer Stunde beim 4th of July Philly Jam sein muss. Ein paar Anrufe und einige verstohlene Tricks (sowie der Ruf „Street Cred!“), und wir sind drin. Richtig gelesen: Questlove musste in sein eigenes Studio einbrechen. Selbst jemand mit seinem Einfluss muss mit allen Mitteln vorgehen. Schließlich geht es um Platten.
Als wir sein Heiligtum betreten, sehen wir, was wir nur aus YouTube-Videos kennen: einen Raum mit einer unfassbaren Anzahl Platten vom Boden bis an die Decke, an allen Wänden, mit Bibliotheksleitern, um an die akribisch geordneten, schwer zu erreichenden LPs zu kommen. Das Erreichen erschweren zudem ein Schlagzeug, ein MPC3000, Verstärker, Platten-spieler, Schlagzeughocker und ein Questlove-NBA-Trikot. Questlove räumt einen Pfad frei und murmelt: „Ich muss unbedingt diese D’Angelo-DATs finden – ich weiß, dass sie hier irgendwo sind.“ Ebenfalls nicht zu finden: eine Platte, die ihm Dilla acht Tage vor seinem Tod schenkte. In poetischen Worten erzählt Questlove von Dillas liebstem Snare-Sample, seinen Prince-Phasen, vom Aufwachsen auf der Straße mit seinen Musikereltern bis hin zu der schwersten Strafe, die er je aufgebrummt bekam, weil er seinem Vater zehn Dollar stahl, um Vinyl zu kaufen. Am Ende plaudert er 35 Minuten länger als geplant und bringt die ganze Philly-Jam-Veranstaltung in Zeitnot. Als wir uns per Handschlag verabschieden, stellt er gelassen fest: „Jetzt ist es Zeit zum Arbeiten.“
Interview: James Harvey
James Harvey: Als du klein warst, hatte dein Vater eine umfangreiche Vinylsammlung. Hast du dich, als du jünger warst, als Sammler betrachtet, oder kam das erst später?
Amir Questlove Thompson: Ich habe nicht darüber nachgedacht, bevor ich diesen Raum eingerichtet habe. Als ich genug Geld hatte, um mein erstes Haus zu kaufen, baute ich stattdessen lieber dieses Studio. Während der Arbeit an D’Angelos Platte „Voodoo“ verlor Q-Tip seine ganzen Platten bei einem Brand. Da habe ich einen Mordsschreck bekommen. Stellt euch eine Sammlung von derartigen Massen vor, aber bei mir zu Hause! Wir reden hier von einem Wohn-zimmer, das nur aus Platten besteht. Die Küche, nur Platten. Mein Badezimmer. Die besten Platten hab ich im Bad gelagert, weil ich dachte: Wo hebe ich die Juwelen auf? Na klar, im Bad! Das kann man sich am leichtesten merken. Da steht auch ein Plattenspieler drin. Aber es kam ein Punkt, da fing ich an, Platten zu zerbrechen, während ich von hier nach da zu kommen versuchte, wie Indiana Jones – eins, zwei, drei, knack!, und über die Sachen drübersprang. Als ich die zwanzigste Platte zerbrochen hatte, dachte ich mir: „Mann, ich muss was tun. Q-Tips Haus ist abgebrannt!“
JH: Wie nahm der Plattenraum Gestalt an?
Q: ’99 beauftragte ich meinen Schwager, der damals Schreiner war, mir Regale zu bauen, in die mindestens 50’000 Platten passen.
JH: Wie umfangreich ist deine Sammlung, und wie kam
sie zustande?
Q: Mit der Wohnung in New York, hier und was ich eingelagert habe, komme ich auf gut 75’000 Platten. Meine erste Sammlung stammte im Grunde aus dem Haushalt, in dem ich aufwuchs, das ist also die Sammlung meines Vaters. Dann kam die Arbeit, die ich selbst reinsteckte. Als ich erst mal in einer gewissen Position war, machte mich ein Freund mit einer Art Vermögensberater bekannt. Sagen wir mal, eine verzweifelte Geschiedene will ihre Jazzsammlung loswerden, die kriegst du dann für 2’000 Dollar. So kam viel Zeug zusammen. Eine der besten Sammlungen, an die ich kam, war von der Tochter von Levi Stubbs von den Four Tops. Sie gab mir 25 von diesen Kisten – irre 1960er-Probepressungen, Acetate von Motown-Sachen. Durch die Bekanntschaft mit den richtigen Leuten habe ich hier ein paar unschätzbare Stücke angehäuft.
JH: Kannst du dich an deine erste Platte und an das Gefühl, als du sie bekommen hast, erinnern?
Q: Lustig, dass du danach fragst, weil ich heute bei der Show die Freunde der Dame treffen werde, die mir meinen ersten Plattenspieler gekauft hat. Ich spielte damals mit meinem Spielzeugsaxofon im Bläsersatz meiner Eltern mit und stand so richtig mit ihnen auf der Bühne, als ich zwischen vier und sieben Jahre alt war, spielte Tamburin und so was. So konnten sie auf mich aufpassen. Einmal kam vor einem Auftritt eine Dame daher und sagte: „O mein Gott, du bist so süß, ich möchte dir was kaufen.“ Meine Eltern waren übervorsichtig und schärften mir ein, keine Geschenke von Fremden anzunehmen. Aber ich sagte der Lady, dass ich Platten liebe, und am nächsten Tag ging sie in ein Kaufhaus und brachte mir einen Miniplattenspieler, wie die kleinen Numark-Dinger, die wir heute benutzen. Und die Neil-Sedaka-Single „Bad Blood“. Ich schätze, sie hat einfach was genommen, was in den Top Ten war. Dazu noch „Dance With Me“ von Rufus und Chaka Khan. Sie hatte mich nach meinen Lieblingsbands gefragt, und ich mochte Rufus und Chaka Khan. Ich wählte Platten nach den Logos aus. ABC Records hatten ein tolles Regenbogen-Kaleidoskop-Ding, deshalb interessierte mich alles, was auf ABC erschien. Deshalb mochte ich Rufus. Neil Sedakas Label gefiel mir, weil Elton John und er bei Rocket waren. Die hatten ein richtig cooles Logo. Ich beurteilte Platten danach, wie cool das Logo aussah, wenn es sich auf dem Plattenteller drehte. Dann gab sie mir eine Jackson-5-Platte, weil mir deren Look sehr gefiel. Keine Ahnung, für mich beruht alles auf dem Logo, was etwas seltsam ist, weil ich für das Roots-Logo eine sehr simple Arial-Typo genommen habe. Ich war besessen von Logos.
JH: Kaufst du heutzutage noch Vinyl? Deine Freizeit
st offenbar begrenzt. Die meisten tourenden DJs setzen
heute auf Serato und digitale Auflegetechnik, hat das deine Lust auf Vinyl gedämpft?
Q: Ich bin noch besessener geworden. Ich habe nie aufgehört, Vinyl zu kaufen. Hier kommt mein Standardspruch als Neureicher: Ich habe Broker. Zum Selbstsuchen habe ich keine Zeit, und ich will das Beste vom Besten. Ich kenne Leute, die das beruflich machen. Es gibt einen Typen, der kommt aus D.C. angereist, und ich so: „Yo, hast du was geiles Neues?“ Er sagt dann: „Wonach suchst du? Drums? Deutsche Discobearbeitungen? Russischen Jazz?“ Um auf den Punkt zu kommen. Ich habe 42 Milliarden Stunden bei Val Shively’s Records verbracht. Wenn ich in San Francisco bin, haue ich immer ein paar Tausender bei Groove Merchant raus. Die erkennen mich sofort. Sobald ich reinkomme, spielen sie ein paar Sachen. Zurzeit suche ich weniger nach Beats als nach skurriler Musik zum Auflegen. Ich stehe auf merkwürdige Coverversionen. Ich liebe Groove Merchant und fahre gerne nach Japan, aber meine Lieblingsstadt, was Platten angeht, ist Portland. Bessere Bedingungen zum Suchen als dort gibt es nirgends.
JH: Was macht Portland so gut?
Wenn du das Beatles-Album „Yesterday & Today“ mit Original-„Metzgercover“ kaufen willst, wissen sie, dass das 5’000 Dollar wert ist. Aber die 10cc-Platte, die Dilla für „Johnny Don’t Do It“ benutzt hat – die hab ich für drei Dollar bekommen. Wo doch jemand, der was davon versteht, wissen müsste, dass der Wert einer Platte hochgeht, wenn sie jemand benutzt. Alles, was für Dillas Donuts benutzt wurde, bringt locker zwischen 25 und 50 Dollar, aber ich hatte das Glück, 10cc für drei Dollar zu kriegen. Das ist das Schöne an Portland.
JH: Nenn uns ein paar Platten, die dich inspiriert haben.
Q: „Inspiration Information“ von Shuggie Otis. Ich wuchs in einem Haus mit drei sehr eigenen Plattensammlern auf. Mein Vater stand auf Easy Listening und den damaligen Soft-Rock – Carole King, Johnny Mathis, Streisand. Meine Schwester suchte die Anerkennung ihrer High-School-Clique, deshalb hörte sie viel Rockzeug. Und meine Mutter war die Wühltischspezialistin. Sie wählte Platten nach dem Cover und dem Aussehen der Künstler. Ich fragte sie nach „Inspiration Information“, als Dilla ein Sample davon spielte: „Mama, wieso hast du die Platte ausgewählt?“ „Strawberry Letter 23“ ist da nicht mal drauf, es gibt keine erkennbaren Popsongs. „Freedom Flight“, die andere Shuggie-Platte, hatten wir nicht. Ich glaube, sie hat sie nur deswegen genommen, weil er auf dem Cover fesch aussieht. So wählte sie Platten aus – wenn sie so aussahen, als wären sie wichtig. „Trans-Europe Express“ von Kraftwerk ist auch so eine Entdeckung von meiner Mutter. Samstagnachts in Philadelphia, von zwölf bis drei Uhr morgens oder so, spielten die DJs, die damals tatsächlich noch ihre eigenen Playlists zusammenstellten, ziemlich irre, eklektische Sachen. Ich hörte es einmal und bettelte meine Eltern an. Ich wusste nur noch das Wort Express; was Trans-Europa war, wusste ich nicht. Ich klapperte alle Platten-läden ab: „Habt ihr Hmm-hmm Express? Kennst du den Song Hmm-hmm Express?“ Es dauerte ein Jahr, bis ich sie fand. Ein DJ im Sound of Market Street wusste endlich, wovon ich sprach. Ich war also zehn, als mir meine Mutter Kraftwerks „Trans-Europe Express“ kaufte. ’81 veröffentlichten sie „Numbers“, da kamen mehr Leute auf Kraftwerk. Sie machen großartige Tanzmusik. Sie sind das EDM-Original, EDM der ersten Generation. Aber ich habe das Glück, sagen zu können, dass meine Mutter und ich schon einige Zeit vor „Planet Rock“ auf Kraftwerk abfuhren.
JH: Welche Platte in deiner Sammlung ist dir wichtig?
Q: Die LP „Person To Person“ von der Average White Band ist sehr wichtig. Wie gesagt, ich wuchs praktisch auf Tournee mit meinen Eltern auf, und alles, was ich kannte,
waren: Erwachsene. Als sie mir die Idee erläuterten, nicht mehr mit ihnen auf Tour zu fahren, sondern bei meiner Oma zu wohnen, mit anderen Kindern in dieses Ding namens Schule zu gehen – da fühlte ich mich das erste Mal so richtig als Kind. Das war die Härte. Ich weinte jeden Tag, aber ich hab mich dran gewöhnt. Sie mussten mich mehr oder weniger mit Platten bestechen. Als eine Art Prämie zum letzten Schultag gingen wir richtig einkaufen, Platten für 300 Dollar. Eine der Platten, die ich bekam, war „Person To Person“ von der Average White Band. Die hat mein Leben verändert. Das ist die Platte, zu der ich 10’000 Stunden geübt habe, im Keller, von sechs Jahren an, bis ich 21 war. Als 43-Jähriger übe ich immer noch zu der Platte. Wenn ich meine zehn wichtigsten Platten aufzählen müsste, das wäre die Nummer eins.
JH: Hast du eine besonders wertvolle Platte?
Q: Epic Records ließ „Stand“ von Sly & The Family Stone in einer anderen Version pressen, ohne das Funk-Ende. Der Song hörte einfach traditionell auf. Mein Vater war einer der wenigen Besitzer der Single.
JH: Erzähl uns eine einprägsame Plattenstory.
Q: Das Schlimmste, was ich als Kind je anstellte, war, Geld für Platten zu stehlen. In den 1980ern gab es eine Zeit, als man seine Eltern quasi besteuerte, um Geld für Videospiele zu kriegen. Sie schickten dich einkaufen, du kamst mit dem Wechselgeld zurück und hast einen Vierteldollar oder so behalten, um damit Pac Man oder Space Invaders zu spielen. Und eines Tages dachte ich mir: Okay, zehn Dollar wird er schon nicht vermissen, also nehme ich sie einfach und kaufe mir die Jacksons-Liveplatte. Schwerer Fehler. Schlimme Strafe. Die schlimmste, die ich in meinem ganzen Leben bekommen habe.
JH: Wie hat er es herausbekommen?
Q: Mein Vater ist übergenau. Ich zähle von Natur aus, weil ich Musiker bin, aber mein Papa, der misst ab, wie viel Saft noch im Kühlschrank ist. Er markiert den Stand und sagt dann: „Wer hat den ganzen Saft getrunken? Gestern war er noch so voll.“ Dann siehst du die Markierung. Er zählte jeden Abend sein Geld. So ist er. Ich sah seine Kasse mit 5’000 Dollar und dachte, ich nehme mir mal zehn. Nichts da. Er zählte alles nach, und so kam ich am nächsten Tag heim, und Mann, das war das Schlimmste überhaupt.
JH:Waren das die schlimmsten Prügel, die du je bezogen hast?
Q: Absolut. Als ich dem Lektor meines Buchs die Geschichte erzählte, meinte er: Schon ironisch, dass dich dein Vater – ein Typ wie Joe Jackson, der dich all diese Stunden proben lässt – verprügelt wegen der Platte einer Gruppe, deren Vater sie ebenfalls verprügelt hat!
JH: War sie’s wert?
Q: Ach was. Sie war fürchterlich. Lustig, dass du das fragst, weil ich erst vor eineinhalb Jahren bemerkt habe, dass die Jacksons auf der Platte viele Overdubs draufhaben. Leg sie mal auf, da hörst du zwei Gesangsparts gleichzeitig. Was ist das denn? Mir ist im Lauf der Zeit klargeworden, dass die meisten Liveplatten, die wir so lieben und ehren, Overdub-Jobs sind.
JH: Ist es wahr, dass du nicht Prince hören durftest, als du jünger warst?
Q: Es war echt nicht so „Uuuh, ich hör mir jetzt das an, was meine Eltern ablehnen!“-mäßig. Ich hatte Prince schon gehört und fand ihn cool, aber sie meinten: „Nein, das kannst du dir nicht anhören.“ Tat ich trotzdem, obwohl ich deswegen Ärger bekam. Prince-Platten zu haben brachte mir definitiv 70 Prozent meiner Strafen ein.
JH: Waren die Strafen kreativ?
Q: Die Platten wurden kaputtgemacht und in den Müll geworfen. Die Standardbestrafung waren zwei Wochen ohne irgendwas. Als ich das fünfte Mal erwischt wurde, bekam ich einen Monat. (Er zieht die Prince-Maxi „Soft And Wet“ aus dem Regal.) Jesus, ich wusste gar nicht, dass ich die habe! Vielleicht nehme ich die mit nach New York. Ich hatte keine Ahnung. Eine rare Maxisingle von „Soft And Wet“. Die ist schwer zu finden. Jesus, ich bin einer von denen, die erst später merken, was sie eingekauft haben.
JH: Wieso war Prince in eurem Haus verboten?
Q: Man muss wissen, dass die USA während der Carter-Regierung so hedonistisch und frei wie nie zuvor in der Post-Bürgerrechte-Ära waren. Die Babyboomer wurden groß, die Rave-Jahre gingen los, überall Hedonismus, Kokain, alle waren voll drauf. Dann aber die 1980er, die Ronald-Reagan-Phase, plötzlich wurden alle konservativ.
Lauter weltliche Künstler, die wiedergeborene Christen wurden – Larry Graham, Donna Summer, Debby Boone. Du musst bei irgend-was dabei sein, für viele Amerikaner war das Religion, und meine Familie machte mit. In meiner Kirche predigte der Pastor einmal gegen Michael Jacksons „Thriller“-Video. Und da war meine Kirche wohl nicht die einzige, denn wie ihr vielleicht noch wisst, gibt es zu Beginn des „Thriller“-Videos einen Einspieler, wo Michael Jackson betont: „Ich möchte in keiner Weise das Okkulte fördern.“ Im zweiten Teil der Predigt ging es darum, dass Prince dämonisch ist und dass unsere Kinder so was hören. Da dachten meine Eltern sofort: Scheiße!
JH: Wann bist du vom Musiker zum DJ geworden? Wie bist du überhaupt darauf gekommen?
Q: Mein Vater hat mir buchstäblich Showbiz-Unterricht gegeben; meine erste Lektion war, ein menschliches GPS, ein Navigator zu werden. Mit fünf hatte er mir beigebracht, wie man mit Landkarten umgeht, mit sieben lernte ich, mich um die Garderobe zu kümmern. Er zeigte mir, wie man Leder reinigt, bügelt, Sachen in die Reinigung bringt. Als ich acht war, ging es dann um Sound. Ich musste die Monitore regeln, auf Rückkoppelungen achten. Mit neun lernte ich das Licht steuern. Jeden Sommer ein neuer Job. Ich saß da im Nachtclub und schnitt die Folien zurecht, nahm die violetten und grünen raus, weil sie auf Schwarzen nicht gut wirken. Dafür kamen Pink und Pfirsich rein. Zwischen zehn und 13 war ich der Lichttechniker meines Vaters und hing im Club zu unchristlichen Zeiten rum. In einigen Clubs gab es Plattenspieler, aber niemanden, der sie bediente. Nur zum Zeitvertreib fragte ich die Betreiber oder meinen Vater, ob ich bis Showbeginn Platten auflegen durfte. So fing das an. Mit elf war ich gelernter DJ. Meine Rolle bei The Roots: Als wir mit den Beastie Boys auf Tour waren, verkleidete sich Mike D immer – falscher Bart, verrückte Sonnenbrillen, Hut –, ging ins Publikum und legte vor den Beastie-Boys-Shows Platten auf. Niemand hat was spitzgekriegt. Ich fand das wahsinnig cool. Ich meine, wie cool ist das denn: Der Headliner legt auf! Also fing ich an, vor Roots-Shows aufzu-legen, und schließlich auch danach. Plötzlich gab man mir 500 Dollar pro Abend.
JH: Deine Pinkelpausenplatte?
Q: Meine Pinkelpausenplatte ist immer die 15-Minuten-Version von „Rapper’s Delight“. Musste ich aber erst zweimal auflegen.
JH: Hast du jemals Platten weggegeben?
Q: Niemals.
JH: Ungelogen? Nicht eine einzige?
Q: Ich bin zu sentimental. Zu sammelwütig. So was könnte ich mir nicht mal vorstellen.
Vinyl Slang
(aus dem Buch „Dust & Grooves“ von Eilon Paz.)
OPHANS (Waisen) – LPs ohne Cover / NOBODY’S HOME – Eine Plattenhülle ohne die Platte selbst. / FROSTING (Zuckerguss) – All die kostenlosen Beilagen, die man zu einer Platte dazu kriegt. / BARKING CAT – Eine Platte, die sich komplett anders anhört, als sie aussieht. / SLEEPER – Eine großartige Platte, die die meisten Leute nicht kennen. / FORAWHILE – Die Rille am Ende der Platte, in der die Nadel verbleibt. / DEADWAX (auch Run-Out oder Matrix) – Der Bereich auf Platten zwischen dem letzten Track und dem Etikett (wo oft Pressstempel, Katalognummern, Kommentare und anderes ins Plastik gekratzt sind) / COASTER (Untersetzer) – Eine Single, die so schlecht ist, dass sie sich nur dazu eignet, Gläser drauf abzustellen. / WHITE LABEL – Bootleg-hard-to-find-material. / TITTYSHAKER – Schnelle Rock’n’Roll-Tanzplatte, die dazu animiert, die Brüste zu Schütteln. / CURB FRUIT (Randsteinfrucht) – Eine auf der Straße gefundene Kiste mit Platten. / BISCUIT SQUISHER (Keksquetscher) – Arbeiter an einer Plattenpresse. / DOG RINK (Hundeeisbahn) – Vinyl, das so unabspielbar zerkratzt ist, dass es aussieht, als wäre ein Hund drauf Schlittschuh gelaufen. /
COMPED – Ein Song, der auf einer Compilation erschienen ist. / HEARTBREAKER – Eine rare Platte, gefunden in einer Sammlung, die in schrecklichem Zustand ist. /
EGGS AND BACON (auch Fry-Up oder Burned) – Das Knacken und Knistern auf Vinyl, das sich anhört, als ob jemand im Hintergrund Eier mit Speck brät. / DUPE – Duplikat einer Platte zum Verkaufen oder Tauschen. / BEATER – Single in derbem Zustand, die immer noch gut genug läuft, um sie als DJ aufzulegen. / CRUSTY –
Ein Sammler, der nicht speziell nach Platten in einwandfreiem Zustand sucht und sich von Nebengeräuschen nicht abschrecken lässt. / FLOP SIDE – Wortspiel auf „Flip Side“ (B-Seite), das darauf anspielt, dass der zweite Song auf einer Single nichts taugt. / PILLAGING (Plündern) – Eine rare oder teure Platte zu einem tollen Preis ergattern. / FOUND THE FIELD – Eine Platte, die man nicht online oder in einem richtigen Laden findet, sondern auf dem Flohmarkt, bei einer Entrümpelung, im Ramschladen etc. / VOLLENWEIDER – Eine Platte, die aussieht wie ein obskures, gut zum Sampeln geeignetes Psychedelic-Prog-Album, sich aber als blödsinniger New-Age-Scheiß erweist, wie man ihn in jedem Plattenladen der Welt in der Zehn-Cent-Kiste findet. / NOTCHED (Gekerbt) (auch Emo’d oder Cut-Out) – Plattenhülle mit gestanztem Loch oder abgeschnittener Ecke, um anzuzeigen, dass die Platte importiert ist oder verbilligt verkauft werden kann. / CREAMED – Ein Stapel Platten, der gründlich durchsucht wurde und nichts Brauchbares mehr enthält. / NEEDLEBEARD – Das kleine Staubbällchen, das sich an der Nadel ansammelt. / TOP LOCK – Die Innenhülle aufrecht in die Aussenhülle schieben, damit die Platte nicht rausfallen kann. / MOBY DISC – Der weiße Wal, den jeden Sammler zu finden erträumt. / MINTY – Beschreibung für Vinyl in annähernd nagelneuem (Mint-)Zustand. / COWBOY HAT (auch Star Trekked) – Eine Platte, die so verbogen ist, dass sie an die Krempe eines Cowboyhuts erinnert. / PINK-EYED FIEND – Sammler, der stets auf die Informationen in der Auslaufrille achtet, um sicherzustellen, dass es sich um die richtige Pressung handelt. / VIRGINS – Neuauflagen. / GROOVE CHEESE – Was beim Abspielen schmutziger Platten von der Nadel aus den Rillen gegraben wird.
Dust & Grooves
Der opulente Bildband „Dust & Grooves“ gibt einen einzigartigen Einblick in die faszinierendsten Plattensammlungen der Welt. In hochwertigen Fotostrecken und spannenden Interviews geht Fotograf Eilon Paz der Sammelleidenschaft seiner Protagonisten auf den Grund. Über 130 Vinyl-Sammler, darunter Stars der Szene wie Gilles Peterson, Ahmir „Questlove“ Thompson, Keiran Hebden und The Gaslamp Killer, gewähren Einblick in ihr Allerheiligstes und sprechen über Motivation, Geschichte und Lieblingsplatten.
Eilon Paz ist selbst Plattensammler und gründete 2008 die Webseite Dust & Grooves (www.dustandgrooves.com). Seine eigene Sammlung inspirierte ihn dazu, andere Plattensammler aufzusuchen und sie zu fotografieren. So entstand dieses wunderbare Buch.
„Dust & Grooves“ von Eilon Paz, Hardcover, durchgehend farbig bebildert, 488 Seiten,
24,1 x 30,5 cm, ca. CHF 65.00 ISBN: 978-3-959100-17-5