Kunst und Mode sind seit jeher beste Freundinnen. Bei der Fotografin Viviane Sassen sind sie Familie, verschmolzen zum unzertrennlichen Powerduo. Denn die Niederländerin fühlt sich in der Welt der kommerziellen Modefotografie genauso wohl, wie wenn sie eine abstrakte multimaterielle Collage anfertigt. Im FOAM in Amsterdam zeigt die Ausstellung „Phosphor: Art & Fashion“ eine umfassende Retrospektive ihrer Arbeit.
Körper verformen sich, schmelzen ineinander, ragen in Übergröße empor. Scharf gezogene Schatten wechseln sich mit leuchtenden Farben ab. Und zwischendurch übermittelt das simpelste Porträt das höchste Maß an Intimität. Wenn man von der Videoinstallation zur Fotografie spaziert und dabei an der multidisziplinären Collage vorbeikommt, könnte man meinen, man habe soeben die Arbeiten unterschiedlicher KünstlerInnen gesehen. Nicht im Fall der Ausstellung „Phosphor: Art & Fashion“. Die Werke, so verschieden sie auch sein mögen, tragen doch alle die Handschrift der niederländischen Fotografin und Künstlerin Viviane Sassen. Mehrdimensionalität ist die Essenz ihres Schaffens. Filme laufen, Töne erklingen, Pinsel, Kamera und Schere waren alle am Werk. Sie hat sich einen Namen als Modefotografin gemacht, darf – und soll – sich aber auch Künstlerin in den CV schreiben.
Ihre Klientenliste liest sich wie die Einkaufsliste des angesagtesten It-Girls – Bottega Veneta, Jacquemus und Dior sind nur ein winziger Auszug. Auch Magazine wie i-D, Dazed oder Purple stehen bei ihr Schlange. Und doch bietet Sassens Werk auch reichlich Identifikationsfläche für alle, die Abstraktes und Abseitiges mehr mögen als Mode.
Eigentlich ging es für Sassen von Anfang an in Richtung Fashion. Das Modestudium kam nämlich zuerst, und erst danach hat sie sich an der Utrecht School of the Arts in der Fotografie ausbilden lassen. Bis heute halten sich die beiden Leidenschaften für Mode und Kunst gekonnt die Balance. Persönlichen Projekten schwingt die Ästhetik eines Modeeditorials mit, bei kommerziellen Aufträgen dringt die künstlerische Ader durch.
Nach mehr als drei Jahrzehnten ist es höchste Zeit, Sassens umfassendes Schaffen in einer Retrospektive abzubilden. Nachdem letztes Jahr das MEP – maison européenne de la photographie in Paris sich mit Kunst und Mode schmückte, zeigt nun das FOAM in Amsterdam in einer umfassenden Retrospektive über 200 Werke der Künstlerin.
Sassen selbst sucht die Aufmerksamkeit nicht – lieber lässt sie ihre Kreationen sprechen. Und die haben einiges zu sagen. Mit Selbstporträts handelte sie schon früh ihr eigenes Körperimage ab. „Are we ever able to truly know someone, to truly know ourselves?“, fragt sie in ihrer Serie „Etan & Me“. Eine Antwort darauf gibt es nicht. Am meisten findet man über die Künstlerin heraus, wenn man die enigmatischen Beschreibungen ihrer zahlreichen Projekte liest. Oder wenn man einfach schaut. Und wartet, was die abgebildete Intimität, die leuchtenden Farben und die durchdacht-spontanen Kompositionen in einem auslösen.
Kritik, Kontroverse, Kunst?
Kontroversen findet man überall, wenn man nur lange genug sucht. Ob man das tun sollte, ist eine ganz andere Frage. So wurden ab und zu Stimmen laut, die Sassens Darstellung afrikanischer Menschen kritisieren. Tatsächlich tauchen vorwiegend schwarze Personen in Sassens Arbeit auf, vor allem in persönlichen Projekten. Hat sie zu viel Macht und Kontrolle, weil sie als Weiße diejenige ist, die die Kamera in der Hand hält? Angesichts der Tatsache, dass es nicht selten vorkommt, dass weiße FotografInnen nicht wissen, wie sie schwarze Haut richtig inszenieren und belichten sollen, scheinen die Fragen berechtigt. Aber nicht immer ist alles so, wie es auf den ersten Blick scheint – damit ist nicht nur Sassens Arbeit gemeint, sondern auch der Grund, warum sie afrikanische Menschen vor der Kamera mag. Als Kleinkind lebte Sassen drei Jahre lang in Kenia. Ihr Vater war Arzt in einer Polio-Klinik. Abgelegen im Nirgendwo fühlte sich Sassen fremd und heimisch zugleich im fernen Kontinent. Bis heute ist sie irgendwo zwischen Touristin und Local, wenn sie zurückkehrt in die fremde Heimat. Und das spiegelt sich in ihrer Arbeit. Wenn Sassen sich doch einmal dazu äußert, stellt sie das Private in den Vordergrund. Ihr gehe es um ihre einzigartige private Verbindung zu Afrika, die direkt ihrer Kindheit entstammt. Sie könne sich ihr Leben ohne Afrika nicht vorstellen, sagte sie einst gegenüber dem blind Magazin. So findet man auch keine stereotypische Darstellung Afrikas in ihren Bildern. Ihre Subjekte sind alltäglich, inszeniert auf künstlerische Art und Weise. Selbst wenn man nichts über die Fotografien weiß, spürt man, dass eine persönliche Verbindung zwischen Fotografin und Subjekt existiert.
Sassen bringt eigene Emotionen in jedes ihrer Werke und schafft es doch, ein bisschen mystisch, ein bisschen unerreichbar zu bleiben. In der Kunst- und Fotografiewelt wird gerne aufgeteilt, und sauber in Kategorien gesteckt. Wer Werbung fotografiert, gilt nicht mehr als KünstlerIn, wer zu abstrakt kreiert, passt nicht mehr in den Mainstream. „The ordinary and the magical merge“, beschreibt Sassen ihre Serie „Heliotrope“. Damit beschreibt sie eigentlich ihr gesamtes Schaffen. Gewöhnlichen Alltagsmomenten und Objekten haucht sie Magie ein. Wer sich durch die 200 ausgestellten Werke arbeitet, versteht danach, was sie gegenüber dem British Journal of Photography betonte: Sie möge es gar nicht, sich zu wiederholen. Und genau darum vereint Viviane Sassen alle: Kunsthungrige auf der Suche nach Abstraktem, pinselschwenkende MalerInnen, Fashionistas, FotografInnen. Das Beste daran? Alle sehen etwas anderes.
FOAM: Viviane Sassen – Phosphor: Art & Fashion
Porträt, Collage oder Modefotografie? Alles und zwar aufs Mal und von derselben Künstlerin, bitte. Genau das gibt es im FOAM in Amsterdam zu sehen. „Phosphor: Art & Fashion“ zeigt eine mitreißende Mischung aus Viviane Sassens persönlichen und kommerziellen Projekten der letzten dreißig Jahre.
FOAM: Viviane Sassen – Phosphor: Art & Fashion
21. September 2024 – 12. Januar 2025
FOAM, Keizersgracht 609, Amsterdam
foam.org
vivianesassen.com
Auch Lydia Roberts lässt die Kunstformen verschmelzen. Ihre kreativen Ventile sind die Fotografie und Malerei.
Mehr zu Viviane Sassens Ausstellung im FOAM findest du hier.
Fotos: © Viviane Sassen