Weiche Matratzen, poliertes Silberbesteck? Brauchen wir alles nicht. Wir wollen Gastgeber, die auf unsere Meinung mehr geben als auf Michelin-Sterne und Hotel-Awards, die für das leben, was sie in der Pfanne brutzeln oder noch immer jedes Mal stolz die Brust schwellen, wenn sie ihre eigenen Hotelzimmer betreten. Tim Raue ist einer der coolsten Socken unter den Hoteliers, Küchenchefs und Restaurantbesitzern.
Tim Raue
Koch und Küchenchef / 45 Jahre / vom Gang-Mitglied zum mit Sternen ausgezeichneten Spitzenkoch
Tim Raue ist laut und bestimmend. Dass er sich durchsetzen kann, kommt nicht von ungefähr. Was er als Teenie auf Berlins Strassen lernt, lässt sich auch in der Küche umsetzen, in der er seit seiner Lehre steht. Erst letztere holt ihn raus aus dem Morast, in den ihn Vaters Schläge und die Berliner Gang „36 Boys“ stossen. Er tauscht Graffiti und Gerangel gegen Kochlöffel und Schürze – die Schnauze allerdings, die bleibt dieselbe. Und die bringt ihn weit: Küchenchef mit 23, „Koch des Jahres“ mit 33, Chef des eigenen Restaurants mit 36. Raue holt sich zwei Michelin-Sterne und 19,5 Gault&Millau-Punkte, kocht sich durch TV-Shows wie etwa „The Taste“ oder „Kitchen Impossible“ und ist neben seinen eigenen Lokalen auch für Restaurants wie etwa das „The K – by Tim Raue“ in St. Moritz oder das „Hanami by Tim Raue“ auf der TUI Mein Schiff 5 verantwortlich.
Tim Raue hält die Zügel in seiner Küche straff. Weil er weiss, wie schnell Ruhm vorbeigehen kann – Zähheit, Ehrgeiz und Ausdauer dagegen, die bleiben. Und so schafft es der Junge aus dem Berliner Ghetto in die Riege von Deutschlands Spitzenköchen.
FACES: Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?
Tim Raue: Ich wollte einen gestalterischen Beruf ergreifen, ohne Abitur musste es dann etwas Handwerkliches werden. Koch war mir deutlich sympathischer als Maler oder Landschaftsgärtner.
F: Wie beschreiben Sie Ihr Restaurant in einem Satz?
Tim Raue: Ein Ort, an dem man eine kulinarische Reise machen kann, die einen aus dem Alltag reißt.
F: Von der Idee übers Konzept bis zum vollendeten Restaurant: Wie lange haben Sie für diesen Weg gebraucht?
Tim Raue: Erst einmal war es meine Geschäftspartnerin Marie-Anne Raue, die den Anstoß zur Selbstständigkeit gemacht hat. Dann hatten wir vier Monate Zeit bis zur Eröffnung, und seit nunmehr neun Jahren arbeiten und investieren wir stetig in unser Restaurant, was sich glücklicherweise auszahlt.
F: Weshalb sollten wir unbedingt bei Ihnen speisen?
Tim Raue: Weil es bei uns wirklich Spaß macht zu Gast zu sein.
F: Woran müssen Hosts denken, worüber sich andere keine Gedanken machen?
Tim Raue: Dass sich der Gast wohlfühlt, die Atmosphäre dem Anlass entsprechend ist und dass man das, was man macht, mit ganzem Herzen, Leidenschaft und dem Willen, anderen etwas Gutes zu tun, macht.
F: Worüber machen Sie sich zu viele Sorgen?
Tim Raue: Ob das, was ich mache, gut genug ist.
F: Wie sind Sie als Chef?
Tim Raue: Loyal, fördernd und fordernd.
F: Welche Eigenschaften braucht ein guter Gastgeber?
Tim Raue: Er sollte von ganzem Herzen Freude und Spass daran haben, seine Gäste zu begeistern.
F: Was mögen Sie an Gästen am meisten?
Tim Raue: Wenn ich sehe, dass die Gäste sich amüsieren, lachen und mit Wonne essen und trinken, dann bin ich sehr glücklich.
F: Was können Sie bei Gästen nicht leiden?
Tim Raue: Schlechte Manieren.
F: Was ist Ihr Anspruch an Ihr Restaurant, und wie haben sich die Ansprüche Ihrer Gäste in den vergangenen Jahren verändert?
Tim Raue: Einzigartig zu sein. Vegane Ernährung ist mittlerweile elementar.
F: Was halten Sie von Take-Away?
Tim Raue: Nach dem Feierabend nehme ich sehr gerne Essen von meinem Lieblings-Thai-Restaurant mit.
F: Worauf achten Sie, wenn Sie selbst auswärts speisen?
Tim Raue: Ich esse generell total gerne in Restaurants und gehe sehr gerne in Stammrestaurants. Hin und wieder probiere ich auch etwas Neues aus. Wenn ich reise, versuche ich immer die jeweiligen Top-Restaurants einer Stadt zu besuchen, aber trotzdem auch was simples Lokales bzw. Street Food auszuprobieren.
F: Welches ist das beste Restaurant der Welt (außer Ihrem eigenen), in dem Sie selber bereits gegessen haben?
Tim Raue: Die Aufzählung würde den Rahmen sprengen, ich müsste so um die 70 bis 80 Restaurants und Plätze nennen. Deswegen hier drei Empfehlungen: Ich liebe gereifte Weine aus Bordeaux und Burgund, und die beste Weinkarte mit gereiften Schätzen und einem himmlischen Huhn in der Schweinsblase gegart gibt es im Schwarzen Adler in Vogtsburg-Oberbergen.Dann Kantonesisch: Die Dim Sum, die BBQ Gerichte und der Schweinebauch aus dem Wok mit zweierlei Sichuan-Pfeffer sind im Lung King Heen in Hongkong magisch daher ist es für mich das beste chinesische Restaurant der Welt. Unbedingt zum Lunch dorthin gehen, um auch den Ausblick genießen zu können. Im Sonvea Fushi Resort auf den Malediven gibt es ein kulinarisches Konzept, das eine Weltklasse-Thaiküche, einen japanischen Drei-Sterne-Sushi-Meister und einen grandiosen maledivischen Küchenchef beherbergt. Außerdem sind dort jede Saison ein dutzend Sterneköche aus der ganzen Welt als Gastköche zu Gast, und das Restaurant ist auf Stelzen in den indischen Ozean gebaut – mein kulinarisches Paradies.
F: Welches Restaurant würden Sie selber gerne besitzen?
Tim Raue: Ich hätte gerne eine kleine Butze, in der ich ausschließlich meinen „Wasabi Kaisergranat“ servieren würde, dazu den Wein, den wir dafür kreiert haben, die „KOLIBRI Cuvée“ vom Weingut Dreissigacker, und stilles Wasser. Die absolute Reduktion auf das Wesentliche.
F: Was kochen Sie für sich selbst?
Tim Raue: Nix.
F: Wo steht Ihr eigenes Bett?
Tim Raue: In Berlin, Graz und Modica.
Das sagt Tim Raue zu…
Avocado…
ist immer noch am Leckersten mit spicy Mayo, Garnelen und Zitronensaft.
Toast Hawaii…
liebe ich! Allerdings in meiner Version: in Butter gebratenes Brioche Milkana-Sahne, österreichischen Beinschinken, Cheddar und Appenzeller obendrauf – gratinieren, fertig.
Molekularküche…
hat uns ein enormes neues technisches Verständnis vom Kochen ermöglicht.
Sprühsahne…
bäääh!
Vorgeschnittenem Brot…
kenne ich nicht.
Tofu…
kann lecker sein, aber nicht wenn er industriell gefertigt wurde.
Nose to tail…
ist alternativlos.
Vegane Wurst…
ich mag keine Ersatzprodukte, dann lieber frisches Gemüse auf die Stulle.
Nutella…
habe ich nie gegessen.
Thermomix…
Da habe ich mich lange gegen gewehrt, nun kann ich mir unsere Küche ohne ihn nicht mir vorstellen!
Mikrowelle…
ist für mich elementar in der Küche.
Chia…
Brauche ich nicht.
Welches ist Ihr liebstes Fertigprodukt bzw. welches Produkt machen Sie nicht selber?
Gesalzene französische Rohmilchbutter.
Restaurant Tim Raue in Berlin und Brasserie Colette in Berlin, München und Konstanz
Gleich vier Restaurants hält Tim Raue unter der Hand. Im nach ihm benannten Berliner Lokal landen asiatisch inspirierte Gerichte auf dem Teller, auf weißen Zucker und Milchprodukte wird wann immer möglich verzichtet. Etwas deftiger geht’s in Raues Brasserie Colette in Berlin, München und Konstanz zu und her, wo sich die Speisen an französische Klassiker anlehnen.
www.tim-raue.com
www.brasseriecolette.de
Hier geht’s zum Interview mit einem weiteren coolen Gastgeber: Daniel Lauber.