Seine Mode auf dem Laufsteg sehen und an den Körpern von Menschen auf der Straße: ein Traum. Der Weg zur Karriere als ModedesignerIn führt nicht selten an einer Modeschule vorbei. Gina Grünwald studiert Modedesign im letzten Jahr am Central Saint Martins College und jongliert neben ihrer Abschlusskollektion auch ihr eigenes Label. Für GINA GRNW fertigt sie Taschen und Accessoires aus ausrangiertem Plexiglas. Wo es künftig hin geht? Wir sind gespannt.
Photgraphy: Johann Kööp
Styling & Production: Gina Grünwald
Models: Lilah & Rosa Cecilia
Make-up: Dolli Okoriko & Lara Nasamu
Hair: Marco Coluccio
Nails: Kezia Parkins
Assistance: Qirou Zhou
FACES: Ist DesignerIn tatsächlich ein Traumberuf?
Gina Grünwald: Es ist ein großes Privileg, diesen Beruf ausüben zu dürfen. Design und Kunst sind in einer Gesellschaft besonders wichtig, weil sie Kritik üben, politische Themen und Strömungen aufnehmen sowie Feminismus, Jugend und Kultur abbilden und ausdrücken. Design ist immer auch ein Ausdruck von Freiheit. Ich fühle mich enorm privilegiert, in einer solch freien Gesellschaft aufgewachsen zu sein, die mich mit der nötigen Unterstützung, Ausbildung und Zeit ausgestattet hat, mich für den Designberuf und gegen ein Medizinstudium zu entscheiden. Meiner Meinung nach ist es nicht der Beruf an sich, sondern die Möglichkeit, diesen überhaupt ergreifen zu können, die ich als meinen Traum bezeichnen würde.
F: Wie nahe kommt denn die Realität dieses Alltags als Designerin deinem Traum?
GG: Alles fun, alles fabulous – so in etwa sieht wohl der Traum aus. (lacht) In der Realität ist der Alltag mit extrem vielen Hürden verbunden. Die Erwartungen, die ich und andere an mich stellen, sind groß, das erhöht den Druck massiv. Das Schwierige daran, DesignerIn zu werden, ist, dass es keine allgemeingültige Ausbildung gibt, die dir schließlich den Erfolg garantiert.
F: Du studierst aktuell am Central Saint Martins College und pendelst deshalb stets zwischen London und der Schweiz. Fällt dir das Hin und Zurück schwer?
GG: GG: Bin ich in London, bin ich sehr fokussiert auf meine Arbeit, da fällt es mir leichter, zumindest für eine gewisse Zeit auf Familie und Partner zu verzichten. Bin ich dann zurück in der Schweiz, hole ich alles nach und mache dann sozusagen Wellness in sozialer, körperlicher und geistiger Hinsicht. (lacht).
F: Wie reagieren die Menschen auf deinen Wunsch, als Modedesignerin durchzustarten?
GG: Ich habe den Eindruck, dass sie viele Vorurteile und wenig Verständnis dafür haben, was Modedesign tatsächlich ist. Ich treffe oft auf das Vorurteil des Lazy Artists, der für seinen Erfolg durch die Hölle gehen muss – und soll!
F: Du befindest dich gerade im letzten Jahr deines Studiums am Central Saint Martins College. Was bedeutet das für dich?
GG: Der Abschluss auf dem Papier bringt einer DesignerIn wenig, selbst vom Central Saint Martins College, auch wenn das natürlich eine Adresse ist, die im CV Eindruck macht. Es ist aber tatsächlich so, wie man sagt: Der Weg ist das Ziel. Für mich ist es deshalb enorm wichtig, mein Label bereits während des Studiums aufzubauen, mehrere Kollektionen zu lancieren, Presse-Clippings zu erhalten und die Weichen zu stellen, später freiberuflich mit meinem Label arbeiten zu können. Der Druck steigt im letzten Studienjahr enorm, weil ich mich jetzt auf dem Sprungbrett befinde, den Absprung aber selber schaffen muss – dabei ist das Fenster auch nur für kurze Zeit geöffnet, denn schließlich rücken im nächsten Jahr bereits neue AbsolventInnen nach. Alle Studierenden wünschen sich, dass ihre Abschlusskollektion viel Aufmerksamkeit erhält – von StylistInnen, Stars und EinkäuferInnen, beispielsweise bei Selfridges.
F: Wie groß ist dabei der Konkurrenzkampf untereinander?
GG: Man macht sich gegenseitig Druck, wenn man sieht, was das Gegenüber schon alles leistet. Ich habe den Eindruck, dass die Studierenden immer mehr Gas geben, gerade auch, was die sozialen Medien anbelangt. Das eigene Instagram-Profil wird da bereits zur Marketing-Maschine.
F: Ist es denn mit Social Media und den neuen Technologien einfacher, in der Mode Erfolg zu haben?
GG: Social Media führt ganz klar zu einer Demokratisierung der Branche. Das sehe ich sehr positiv, weil du so auch mit kleinen Follower-Zahlen auf Social Media durchstarten kannst. Zudem führt Social Media die Branche auch näher zusammen, man findet sich, wenn man sich mit demselben Thema auseinandersetzt – das führt zu tollen Symbiosen zwischen DesignerInnen, StylistInnen und FotografInnen.
F: Und die Schattenseiten?
GG: Der wachsende Druck, ständig Präsenz zeigen und wachsen zu müssen.
„Shein ist der pure, böse Kapitalismus.“
F: Viele Followers auf Instagram bedeuten für eine DesignerIn aber nicht automatisch auch monetären Gewinn.
GG: Ich denke, da muss man ganz genau hinschauen, ob jemand tatsächlich ein florierendes Business betreibt oder einfach nur einen schönen Feed hat. Für eine Newcomerin wie mich sind neben den sozialen Medien aber auch klassische Formate wie Printmedien, Online-Magazine oder TV wichtig. Kürzlich hat bei der UK-Version von „Love Island“ eine Kandidatin zahlreiche Teile von mir getragen, was bei mir dann wiederum zu einigen Anfragen geführt hat.
F: Was ist für dich aktuell die größte Herausforderung?
GG: Dass ich alles alleine mache. Ich produziere nicht nur meine Kollektionen, kümmere mich um alle Anfragen, Shootings und Co., sondern arbeite gleichzeitig immer auch an neuen Ideen und an Content für Social Media. Gerade letzteres unterbricht allerdings immer wieder meinen eigentlichen Kreativprozess, und es fällt mir schwer, da eine gute Balance zu finden.
F: Wie sieht dein Alltag als Studentin und Designerin aus?
GG: Mein Alltag ist sehr projektgebunden. Ist es das Ziel, eine neue Kollektion zu entwerfen, so beginne ich mit der Recherche, in der ich Fotos mache, Skizzen anfertige und mich von Materialien inspirieren lasse, die recycelt werden können. Das können genauso alte Krawatten vom Papa einer Freundin sein oder ein getragener italienischer Anzug meines Vaters. Irgendwann kommt dann der Moment, wo ich es fühle: Jetzt geht es los! Dann füge ich Stück für Stück meine Looks und Look für Look meine Kollektion zusammen, die ich dann anschließend fotografiere. Das klingt so leicht, da kommt aber sehr viel dazu: planen, Leute casten, organisieren, shooten und diesen Output dann auch noch gezielt streuen, wobei ich mich an den Fashion Weeks orientiere.
F: Diese sind für dich also feste Nummern in der Agenda?
GG: Du gerätst automatisch in diesen Strudel, selbst dann, wenn du dir sagst, dass du da eigentlich gar nicht mitmachen willst.
F: Sind solche Modewochen überhaupt noch zeitgemäß?
GG: Während der Corona-Pandemie war die Diskussion um die Legitimation der Modewochen besonders groß. Man hat sich gefragt, ob es sich überhaupt lohnt, so viele Ressourcen zu verschwenden für diese Laufstegshows, all diese Menschen von A nach B fliegen zu lassen, diese Promis zu buchen, all diese VIP-Packages… es ist eine reine Marketing-Aktion. Eine Live-Show auf die Beine zu stellen, ist für eine NewcomerIn unbezahlbar. Corona hat gezeigt, dass es auch anders geht, dass man seine Kollektionen auch online präsentieren und verbreiten kann. Es ist wichtig, dass wir uns gemeinsam fragen, ob wir uns das überhaupt noch leisten können, so viele Ressourcen, CO2 und so viel Energie zu verschwenden für eine einzelne Show in London, New York oder Mailand. Ich glaube nicht, dass Fashion Weeks, wie wir sie bis anhin kannten, noch zeitgemäß sind.
F: Viele JungdesignerInnen und kleine Labels geben sich enorm viel Mühe, die Welt besser zu machen. Sie arbeiten mit recycelten Produkten, achten penibel auf ihre Wertschöpfung und nutzen neue Technologien und Möglichkeiten, um Ressourcen zu sparen. Weshalb ziehen die Großen nicht richtig mit?
GG: Große Unternehmen haben einen noch größeren Druck, immer mehr Gewinn auszuschütten. Ich bezweifle, dass sie es schaffen, diesen riesigen Apparat so schnell umzustellen. Viel eher, als das Ruder richtig rumzureißen, setzen sie auf Greenwashing oder arbeiten projektbasiert für Kollektionen mit anderen Labels oder jungen Talenten zusammen, deren Revoluzzer-Geist und innovative Ideen dann auf sie abfärben.
F: Kapitalismus ist der Anfang vom Ende. Das führt schließlich auch dich ins Dilemma, schließlich verkaufst du am Ende auch Produkte.
GG: Meine Generation wächst nicht mit der Aussicht auf ein Eigenheim auf, wir führen ein ganz anderes Leben als unsere Eltern und sind es uns eher gewohnt, dass wir auf unsere Ressourcen achten müssen. Ich glaube, genau aus diesem Gedanken heraus versuchen wir dann, es besser zu machen und recycelte oder lokal produzierte Produkte zu verwenden, die diesen Konsum, den es immer geben wird, zumindest ein bisschen besser machen. Ich weiß, dass ich mich in einem kapitalistischen System bewege und dieses im Laufe meiner Lebzeit wohl nicht komplett auf den Kopf stellen kann. Ich kämpfe aber für einen faireren, sozialeren und nachhaltigeren Kapitalismus, verzichte dafür aber auf das schnelle Geld.
F: Was bedeutet nachhaltige Mode denn überhaupt?
GG: Das Zünglein an der Waage ist der richtige Konsum. Wir können nicht nachhaltige Mode tragen und gleichzeitig den Massenkonsum ankurbeln. Wir brauchen nicht das sechste weiße T-Shirt, das hat auch nichts mit Trends zu tun oder damit, sich ausdrücken zu wollen. Mode ist ein Konsumgut und lebt von Trends; was wir dem entgegen bringen können, ist der verantwortungsvolle Konsum davon. Nachhaltige Teile kosten nie unter 50 Franken – dem müssen wir uns bewusst sein.
F: Würdest du dir in der Modebranche mehr politische Restriktionen wünschen?
GG: Regierungen könnten in der Modebranche viel mehr bewirken. Regulierungen hinsichtlich Arbeitsbedingungen, Löhnen, Nachhaltigkeit, Tierrecht und so weiter sind enorm wichtig – die Industrienationen müssen als gutes Beispiel vorangehen. Die EU hat die Möglichkeit, Güter vermehrt auf eigenem Boden zu produzieren, anstatt alles aus China zu importieren. Umso mehr schmerzt es mich, dass in den vergangenen Jahren gerade in der Schweiz so viele textile Produktionsstätten eingegangen sind. Politik ist wichtig, doch die KonsumentInnen haben genauso viel Macht, zu demonstrieren, was sie unterstützen wollen und was nicht.
F: Unterstützt die Schweiz Modeschaffende zu wenig?
GG: Kreative Berufe haben generell in der Schweiz kein großes Ansehen. Du wirst häufig belächelt, wenn du erzählst, dass du in der Modebranche arbeitest. Hierzulande ist es wichtig, dass du einen guten Abschluss hast und dass du etwas vorweisen kannst. Das ist mit ein Grund, weshalb ich zum Studieren nach London gegangen bin. Dort sind die Leute offener und quirliger, da falle ich mit meinem rosafarbenen Haar auch nicht so auf. (lacht)
F: Blick gen Osten: Shein ist das erfolgreichste Modeunternehmen der Welt. Die Produkte sind weder nachhaltig noch fair, der Absatz ist riesig, und immer wieder werden auch Designs junger DesignerInnen geklaut.
GG: Das ist eine meiner größten Ängste, dass jederzeit jemand meine Designs stehlen und als seine eigenen ausgeben könnte. Als JungdesignerIn hast du nicht das Geld, um mit anderen über Copyrights zu streiten – besonders nicht mit den Anwälten von Shein. Ich bin total sprachlos über Shein und diesen puren, bösen Kapitalismus und das in einer Zeit, in der wir uns diesen gar nicht leisten können.
F: Was wünschst du dir von KonsumentInnen?
GG: Ich sehe es als meine Aufgabe, die KonsumentInnen auch ein wenig zu bilden. Dazu gehört etwa, dass ich jeder Bestellung ein Kärtchen beilege, das erklärt, weshalb meine Produkte aus Zero-Waste-Plexiglas bestehen, wie sie hergestellt und welche Techniken dabei verwendet wurden. Ich bezwecke damit, den Menschen verstehen zu geben, wie viel Handwerk hinter Modeprodukten steckt. Es geht mir darum, dass wir alle das Handwerk schätzen. Man stelle sich vor, welchen unglaublichen Job eine Näherin etwa in Bangladesch leistet, die am Tag zahlreiche T-Shirts produziert und dies in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit. Man muss den Menschen die Schuppen von den Augen reißen: Fast-Fashion-Labels sind nicht gut für die Menschen und nicht gut für die Umwelt. Ich wünsche mir, dass wir weniger kaufen und wenn, dann klimaneutral und lokal und unser Geld besser und zu fairen Preisen investieren.
F: Was lässt dich bei all dem, was aktuell noch falsch läuft, dennoch zuversichtlich in die Zukunft blicken?
GG: Ich lebe seit sieben Jahren vegan und finde es großartig, dass kürzlich an einem Geburtstagstisch zwei Drittel der Gäste Vegetarier waren. Es gibt mittlerweile so viele Möglichkeiten, ohne tierische Produkte zu leben. Dass in die grüne Zukunft investiert wird, stimmt mich sehr zuversichtlich.