Wie Charlie in Willy Wonkas Schokoladenfabrik – so muss sich Gina Condé als Global Director bei Liebeskind Berlin fühlen. Ein Beruf, der über den reinen Job hinausgeht. Denn dass Condés Liebe zu Taschen mit dem Herunterfahren ihres Computers nicht endet, das spüren wir in jeder Antwort auf unsere Fragen.
FACES: Wie trägt man Taschen heute? Welche Formen sind gefragt?
Gina Condé: Mini-Bags sind die neuen Trendtaschen, egal in welcher Form. Es gibt unzählige Varianten – im Box-Bag-Style oder weich und slouchy. Sie werden immer Crossbody getragen, relativ hoch am Oberkörper. Gerne in Kombination mit einem übergroßen Shopper!
F: Wie viele Taschen braucht eine Frau?
GC: Was für eine Frage – man kann nie genug Taschen haben (lacht). Aber was jede Frau braucht, ist eine Essential-Tasche: die kleine schwarze, die dich Tag und Nacht begleitet – im Büro genauso wie zum Dinner.
F: Wie groß oder klein darf eine Tasche sein?
GC: Es gibt keine Grenzen mehr – von Micro-Bags, die auf eine Hand passen, bis hin zu Big-Bags, die bewusst überdimensioniert sind. Wir haben beispielsweise eine XL-Beltbag, die einen Rucksack ersetzen kann.
F: Gibt es Styling-Faux-Pas beim Tragen einer Tasche?
GC: Alles ist richtig, nichts ist falsch! Nehmen wir das Beispiel Beltbag: Sie wird über der Schulter getragen, Crossbody oder – wie ursprünglich gedacht – tatsächlich am Bauch.
F: It-Bags, gibt’s das noch?
GC: Eine It-Bag ist die jeweilige Lieblingstasche der jeweiligen Frau – genau „dein Ding“. Daher ist die heutige It-Bag in meinen Augen sehr individuell, jeder hat seine eigene, ganz persönliche It-Bag. DIE Tasche, die man nicht mehr hergeben möchte.
F: Welche Tasche braucht der Mann von heute?
GC: Einen Bagpack oder eine Beltbag – am besten XL. Wir haben eine neue Unisex-Kollektion aus weichem Nylon, das aus recycelten Plastikflaschen hergestellt worden ist. Männer kaufen gerne die kleine oder große Beltbag aus dieser Range – oder auch die Slingbag. Alles lässige und praktische Crossbody-Styles, mit denen Man(n) die Hände frei hat zum Rad- oder Motorradfahren.
F: Wer ist der typische Liebeskind-Berlin-Kunde?
GC: Die Liebeskind-Berlin-Kundin ist interessiert. Unkonventionell. Qualitätsbewusst. Authentisch. Modeaffin. Sie liebt Mode, sucht aber nicht nur nach Trends, sondern auch nach Farben, Formen und Materialien, die Emotionen in ihr hervorrufen. Sie kauft spontan, ist leidenschaftlich und lebendig.
F: Welchem Motto folgt Liebeskind Berlin?
GC: Wir stehen für Berlin – für die Lässigkeit, die Freiheit, die Verschiedenheit und die Coolness dieser Stadt. Unsere Trägerin trägt den Zeitgeist Berlins in die Welt, Tasche für Tasche.
F: Wie entsteht bei Liebeskind Berlin eine Tasche, und wie lange dauert es von der Idee bis zum fertigen Produkt?
GC: Das kann bis zu einem Jahr dauern – wir lassen uns Zeit und investieren sehr viel Sorgfalt und Mühe in die richtige Form. Eine Tasche aus der aktuellen Kollektion haben wir immer wieder verworfen und weiter daran gearbeitet, bis sie die ikonische „Basket-Form“ hatte, die wir uns vorgestellt hatten. Es bedarf bei uns immer vieler einzelner kleiner Schritte, um eine Tasche zu kreieren. Alle Designs entstehen in unserem Berliner Atelier. Taschenherstellung ist Handwerkskunst. Für die Hardware werden die einzelnen Teile in Holz ausgefräst und anschließend gegossen. Alle Hardware-Teile und die Farbgebung werden speziell für uns produziert. Wir verwenden in erster Linie hochwertige Lederqualitäten aus Rind, Schaf, Ziege und Kalb – denn weiche und natürliche Leder bilden den Kern unserer Kollektionen. Die Veredelung erfolgt durch Prints, Prägungen und Stickereien oder aufwendigen von Hand gefertigten Web- und Knüpftechniken. So gleicht eine aktuelle Tasche beispielsweise dem Flechtwerk eines Rattanstuhls.
F: Was ist typisch Liebeskind Berlin?
GC: Selbstverständliche Taschen. Keine Taschen, die man erklären muss. Funktionell, aber trotzdem modisch. Unsere Taschen sind nicht technisch, sondern elegant – und immer multifunktional zu tragen.
F: Wo muss die Modebranche noch anpacken?
GC: Ganz klar in punkto Nachhaltigkeit. Früher war das ein Nischendenken, und ich freue mich sehr über die gegenwärtige Entwicklung, dass nachhaltiges Handeln dem Zeitgeist entspricht, ein Grundbedürfnis vieler junger Menschen geworden ist, die sogar dafür auf die Straße gehen. Das Bewusstsein ist geschärft, und die Modebranche lässt sich sukzessive darauf ein.
F: Sind Trends überhaupt noch zeitgemäß?
GC: Das Trendthema ist allgegenwärtig in meinem Kopf. Ich glaube Trendsetter von heute entwickeln mit der Kleidung, die sie tragen, heutzutage fast schon etwas Künstlerisches. Schaut man auf die Streetstyles in den Modemetropolen, so sieht man es: Outfits werden zur Kunstform drapiert. Layering-Looks, mehrere Taschen auf einmal, rein monochrome Farben oder wilder Mustermix – eine spannende Trendentwicklung. Auch wir bei Liebeskind Berlin schauen auf die Kunst, gehen in Galerien, lassen unsere Kreativität fliegen und unseren Gedanken freien Lauf. Unsere heutige Gesellschaft kann es sich leisten, sich den schönen Dingen zu öffnen.
F: Nachhaltigkeit, ein Trend, ein Muss oder ein It-Wort?
GC: Ein Gegenwartszustand. Ein Muss. Das Bestreben nach nachhaltigem Verhalten ist unabdingbar für jeden von uns.
F: Braucht es Modewochen wie die Fashion Week?
GC: Ja! Fashion Weeks sind das Lebenselixier der Modebranche. Wir alle arbeiten hart, und nach einer Saison ist man ausgelaugt, denkt fast schon „Fashion ist tot“ – denn man stellt sich ständig und immer wieder neuen, zehrenden Herausforderungen. Doch dann kommt die offizielle Einladung zur Mode-woche und mit ihr neue Energie, neue Kraft und das tiefe Gefühl: Es lebe Fashion! Zudem ist die Fashion Week eine herausragende Plattform für junge Talente. Wo sonst können sie sich einem solch großen Fachpublikum zeigen? Modewochen bieten dem Design-Nachwuchs so tolle Chancen, das sollte nicht genommen werden. In künftige Talente zu investieren, sollte Teil der DNA unserer
Modewelt bleiben.
F: Wie groß ist der Druck in der Modebranche?
GC: Extrem hoch. Die Taktzahl war schon immer hoch, ich erlebe das seit über dreißig Jahren im Business. Es gab schon immer Druck, schon immer harte Zeiten. Die positiven Momente wiegen das aber auf – wer das nicht sieht, arbeitet in der falschen Branche.
F: Was ist heute anders in der Modebranche als vor fünf Jahren?
GC: Die Sicht der Dinge ist offener gegenüber Neuem geworden. Alteingesessenes und Festgefahrenes ist nicht mehr en vogue, man geht neue Wege und denkt über den Tellerrand hinaus. Brands erfinden sich neu, um zu bestehen.
F: Wie setzen Sie sich für mehr Women Empowerment ein?
GC: We are! Liebeskind Berlin ist das gelebte Women Empowerment. In allen relevanten Führungspositionen sind Frauen. Für die Mode- und speziell die Taschenbranche ungewöhnlich. Selbst heute noch…
F: Welcher Herausforderung stellen Sie sich täglich?
GC: Das Produkt Tasche immer wieder neu zu erfinden! Das richtige Gespür zu haben, auf das richtige Pferd zu setzen. Was ist Top, was wäre ein Flop. Wir alle müssen das gleiche Gefühl für unsere Marke haben. Hier arbeiten Menschen aus den verschiedensten Kulturen zusammen, jeder gibt seinen Input in unsere Arbeit, dadurch entsteht die für Liebeskind Berlin stehende Vielfältigkeit. In allen Teams haben wir eines gemeinsam: die Liebe zu diesem Brand.
F: Wovon lassen Sie sich inspirieren?
GC: Überall, ich gehe mit offenen Augen durch die Welt. Gerade in Berlin findet man tagtäglich neue Inspiration. Die Idee für unsere Flaschentasche zum Beispiel kam mir, als ich auf dem Weg zur Arbeit all die Touristen mit ihren Wasserflaschen in den Händen an der Eastside Gallery sah. Die bräuchten eine praktische Umhängetasche für ihre Flasche – und Refill, wie wunderbar, denn so agieren sie nachhaltig. Wir haben in diesem Zuge auch gleich ein kleines Berliner Start-Up unterstützt und gemeinsam eine Liebeskind-Berlin-Glasflasche hergestellt. Berlin ist Inspiration durch und durch – die Tasche ist Begleiter im Büro und auch direkt danach beim After-Work Galeriebesuch mit anschließendem Dinner.
F: Welches ist Ihre Lieblingstasche?
GC: Momentan unsere Chelsea-Bag. Wir haben sie aus unserem Archiv geholt, ihre Größe neu interpretiert, neue Farben entwickelt, wie ein edles Khaki-Grün oder eine der neuen „nearly black“ Farben Midnightblue, ein ganz dunkles Blau. Es wird sie in verschiedenen Größen geben, auch eine ganz kleine – darauf freue ich mich schon sehr.
F: Wie hat Corona die Modebranche verändert und wie startet Liebeskind Berlin nach der Krise durch?
GC: Das ist eine Frage, die uns alle unheimlich beschäftigt. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die Dinge weniger oberflächlich sehen. Wir haben begonnen darüber nachzudenken, was wirklich essentiell und notwendig ist, wie viele Kollektionen braucht man wirklich. Wir gehen liebevoller und bedachter mit den Dingen um und schaffen starke Produkte mit Geschichte und Gedankengut dahinter. Auch das wird wieder in die Kerbe des Nachhaltigkeitsthemas schlagen, weil man künftig Produkte schafft, die man liebt. Wir orientieren uns nicht an anderen, sondern wir gehen wieder in die Archive und schauen „was war mal gut – was können wir wiederbeleben“. Was sind wirklich gute Styles, an denen man lange Freude haben wird.
F: Wie hat Ihnen Corona die Augen geöffnet?
GC: Jeder wurde durch die Krise gezwungen einzusehen, dass die Menschheit nicht immer alles steuern kann. Wir alle kamen in eine unvorhersehbare Situation und sehen nun, dass es durchaus möglich ist, die Kontrolle zu verlieren. Und dass kein Land der Welt vor einer Pandemie geschützt ist.
F: Welche positiven Veränderungen nehmen Sie aus dieser Krise mit?
GC: Das wiederentdeckte Wir-Gefühl in unserer Gesellschaft, die gegenseitige Solidarität und die neugewonnene Wertschätzung von Situationen wie einem Glas Wein in Gesellschaft, von wieder möglichen Umarmungen. Das alles werden wir viel mehr genießen.