Die Kreativität, die in einem schlummert, muss früher oder später raus. Das hat Franziska Vogt, Gründerin des Berliner Schmucklabels YCCIJ am eigenen Leib erfahren. Als Kind träumte sie davon, Goldschmiedin zu werden. Der Ernst des Lebens schickte sie aber zuerst in ein BWL Studium. Nun verbringt sie ihre Tage in ihrem Atelier in Berlin-Neukölln und stellt avantgardistische Schmuckstücke her, gibt Workshops und zaubert auf Wunsch aus alten Stücken etwas völlig Neues. Im Interview erzählt sie uns, mit welchem Material sie am liebsten arbeitet, welche Hürden das Gründen eines eigenen Labels bringt und wohin es mit YCCIJ noch gehen soll.



FACES: Erzähl uns etwas über dich – wer bist du und wie bist du zur Schmuckdesignerin geworden?
Franziska Vogt: Ich bin Designerin aus Berlin und habe mit Mitte 20 meinen ersten Karriereweg im Versicherungsbereich hinter mir gelassen, um Schmuck zu machen – ich habe also quasi von der Police zur Perle gewechselt.
F: Wo hast du das Handwerk erlernt – oder dir sogar selbst beigebracht?
FV: Nach meinem BWL Studium und einer Weltreise habe ich mich ganz bewusst nochmal für ein neues Feld entschieden. Eigentlich war es schon immer mein Traum,
Goldschmiedin zu werden. Als Kind habe ich schon Schmuck gesammelt oder aus dem Angelbedarf meines Vaters gebastelt. Der Schritt in dieses Berufsfeld war mir aber direkt nach dem Abitur zu abwegig. Also habe ich erstmal was „Vernünftiges“ gemacht – BWL studiert und bei einer Versicherung im Innendienst gearbeitet. Mein Handwerk habe ich dann später in Pforzheim an der dortigen Design School erlernt: in der Fachrichtung Schmuck und Objekte der Alltagskultur. Neben einem einjährigen technischen Vorkurs kommen verschiedene Vorlesungen in den Fächern Gold- und Silberschmieden, Emaillieren, Edelsteine schleifen und fassen, Keramik, 3D Programme, Kunst und Kulturgeschichte dazu. Der Studiengang ist künstlerisch und frei, aber gleichzeitig auch sehr angewandt, da wir alles selbst am Werktisch umsetzen mussten.
F: Was möchtest du mit dem Namen YCCIJ vermitteln und wie bist du darauf gekommen?
FV: YCCIJ steht für You Can Call It Jewellery – ein Name, der meinen spielerischen Umgang mit klassischen Schmucktypologien widerspiegelt. Seit 2018 arbeite ich außerhalb konventioneller Kollektionen, überarbeite vorhandene Stücke und verwende durchgehend recycelte Materialien. Wer sich fragt, wie man YCCIJ eigentlich ausspricht – einfach so, wie du es einem Freund oder einer Freundin buchstabieren würdest: „Y C C I J“.
F: Erinnerst du dich noch an das allererste Schmuckstück, das du kreiert hast?
FV: Kreieren ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort,aber als Kind habe ich aus Nylonschnur diese Tattoo- Choker selbst gemacht, mit und ohne Perlen. Ich erinnere mich, dass ich schon so ein kleines Auftragsbuch hatte und alle in meinem Freundes- und Bekanntenkreis versorgt habe. Wahrscheinlich trafen da schon mein kaufmännisches und handwerkliches Interesse aufeinander (lacht).
F: Trägst du viel Schmuck oder hast du die Hände lieber frei?
FV: Ich liebe es, Schmuck zu tragen. Für mich übernimmt er, je nach Tagesform, vielfältige Rollen: Schutz, Erdung, das bewusste Spüren – mein Schmuck ist ja sehr groß –, Verwegenheit, Kühnheit. Ich schlüpfe quasi in meine kleine Schmuck-Rüstung, wenn ich aus dem Haus gehe – und sobald ich heimkomme, landet alles wie ein BH, den man sofort auszieht, auf dem Spiegel im Flur.
F: Hat sich dein persönlicher Schmuckstil geändert, als du angefangen hast, selbst Stücke herzustellen?
FV: Ja, total. Ich achte viel mehr auf Verarbeitung und Qualität. Ich habe viel weniger Modeschmuck und viel weniger Schmuck insgesamt; dafür alles handgemacht von befreundeten Schmuck DesignerInnen. Meistens trage ich, wenn ich ehrlich bin, meine eigenen Sachen.
F: Führ uns durch einen Tag in deinem Atelier – was steht alles auf dem Plan?
FV: Erstmal ankommen und Kaffee oder Tee kochen, Räucherstäbchen an und Fenster auf. Dann checke ich meine To-do-Liste und E Mails und schaue, was heute erledigt werden muss. Meistens teilt sich mein Tag auf in Computerarbeit und Werktisch. Dadurch, dass ich wirklich alles selbst in meinem Studio mache, habe ich einen guten Mix aus kreativer und kaufmännischer Arbeit.
F: Was sind die größten Schwierigkeiten, die mit dem eigenen Label kommen?
FV: Bürokratie. Die Aufgaben durchstehen, die keinen Spaß machen. Disziplin dafür aufbringen, damit kämpfe ich jeden Tag aufs Neue (lacht). Durststrecken wegstecken und weitermachen. Sich motivieren. All in sein. YCCIJ istquasi mein erstes Kind und braucht immer mal mehr oder weniger Zuwendung.
„Die Modebranche ist schnell, vergisst schnell, feiert Trends, aber keine Kontinuität.“
F: Wie erlebst du die Modebranche gerade? Was ist toll, was ist mühsam?
FV: Mode macht mir Spaß – vor allem, seit ich sie für mich selbst definiere. Früher war das eher frustrierend: Als großes Mädchen mit Schuhgröße 42 /43 und langem Körper wurde mir schnell klar, dass ich nicht gemeint bin. Vielleicht kam daher auch meine Faszination für Schmuck – als Ausdruck jenseits von Größen, Normen und Passformen. Ich schätze, dass mehr Diversität sichtbar ist, dass andere Körperbilder und Realitäten mitgemeint werden. Aber es fühlt sich instabil an – als würde das Pendel wieder zurückschwingen. Die Modebranche ist schnell, vergisst schnell, feiert Trends, aber keine Kontinuität. Toll ist, wenn Menschen ihren Stil selbstbewusst und intuitiv leben – unabhängig davon, was die Branche diktiert
F: Welche Art von Mensch hast du im Kopf, wenn du etwas entwirfst?
FV: Eine sensible ÄsthetIn, die nach einer unkomplizierten Rohheit im Alltag sucht. Der oder die Trägerin ist kunst- und designinteressiert oder -schaffend, urban, expressiv, neugierig und sensibel.
F: Wenn du jemanden auswählen könntest, der deine Stücke tragen soll, wen möchtest du am liebsten voller YCCIJ Pieces sehen?
FV: Da fallen mir direkt drei Leute ein: Michèle Lamy, Fuffifuffzich und Mollie Mills.
F: Silber und Gold kombinieren – tabu oder trendy?
FV: Alles geht meiner Meinung nach, man muss es nur selbst feiern.
F: Welche Materialien eignen sich besonders, um Ringe und Co. herzustellen?
FV: Mein Go-to-Material ist Sterlingsilber. Ich liebe große, massive Stücke und das geht mit diesem Edelmetall in einem günstigen Preisrahmen. Ich finde außerdem Silber irgendwie sportlich und kühl, ich liebe es. Gerade bin ich aber auch an einem Feingold-Ring dran, was eigentlich kein Material für einen Ring ist, da es zu weich ist. Aber YCCIJ geht es auch darum, Spuren zu hinterlassen und ich kann es kaum erwarten, mit ihm erste Abdrücke aus meinem Alltag zu sammeln.
F: Wird sich die Bedeutung von Schmuck in Zukunft ändern? Auf welche Materialien wird man vermehrt setzen?
FV: Schmuck ist so alt wie die Menschheit selbst, irgendwie ist da, egal in welcher verrückten Zeit wir auch gerade stecken, immer ein Bedarf. Er ist rituell, symbolisch, emotional. Wir tragen Schmuck direkt auf unserer Haut, er ist unmittelbarer als Kleidung – davon bin ich wirklich fasziniert. Ich finde: All materials are beautiful – jeder von uns hatte doch schon mal ein goldenes Bierpapier um den Finger gewickelt und damit gespielt, oder? oder die Gummidichtung, den Fahrradschlauch – You can call it jewellery.



„Schmuck ist so alt wie die Menschheit selbst.“
F: Würdest du irgendwann gerne andere Dinge als Schmuck designen? Wenn ja, was?
FV: Ja, im Studium ging es ja auch viel um Objekte. Ich finde Glas und Keramik auch sehr spannend und hätte Lust auf schöne Objekte, vielleicht Skulpturen. Auf alle Fälle etwas freies, künstlerisches, ohne Zweck per se.
F: Wie lange dauert es von der Idee bis zum fertigen Stück?
FV: Das variiert stark. Manchmal kreiere ich etwas per Zufall, weil ich mich vertan habe und dann eine Idee zur Rettung habe. Andere Male tüftele ich und ziehe Zweit- und Drittmeinungen hinzu. In jedem Fall kann ich keine Idee oder Design erzwingen, das passiert bei mir während des Schaffens, dem Arbeiten mit den Händen – in der Werkstatt oder beim Unkraut jäten.
F: Wie setzt man Nachhaltigkeit als Schmucklabel um? Welche Schritte unternimmst du konkret?
FV: Recycling und nachhaltig arbeiten sind seit jeher Bestandteil der Gold- und Silberschmiede. Der Werktisch hat ja extra dieses Auffangleder, sodass nichts an Material verloren geht. Jeder Krümel wird eingesammelt und wiederverwendet. Das mache ich genauso. Wenn möglich, schmelze ich meine Reste wieder ein, wenn nicht, lasse ich das von einer Firma machen. Ich verwende meist upcycelte Steine aus Altgold oder Synthesen, also künstliche Steine, die konfliktfrei sind. Mein Steckenpferd sind allerdings meine „Reworks“ – hier arbeite ich bestehende Schmuckstücke in etwas Neues um, ohne das vorherige Stück zu verändern oder kaputt zu machen. Es entsteht eine Art Hülle, die das Alte aktualisiert und in den Zeitgeist holt.
F: Deine Designs haben einen hohen Wiedererkennungswert. Woher kommt die Inspiration für die abstrakten und einzigartigen Formen?
FV: Ich liebe Details und Texturen. Wenn ich unterwegs bin, springen mir Muster in die Augen. So ist es auch in meiner Arbeit. Ich arbeite immer direkt im Material und experimentiere viel. Ich versuche meinen Kopf auszuschalten – das gelingt mir meistens nur im Studio bei dieser Phase – und lasse meine Hände schaffen.
F: Wie sehr inspiriert Berlin dein kreatives Schaffen? Würdest du wohl anders designen, wenn dein Atelier an einem anderen Ort läge?
FV: Eine spannende Überlegung. Mein Partner und Vater meines Kindes ist aus Barcelona, daher sind wir oft dort bei seiner Familie. Manchmal, sagen wir November bis Februar,
komme ich nicht umhin, mir vorzustellen, wie es dort wohl wäre zu leben. Berlin ist aber einfach zu perfekt für kreative Familien mit Kindern, daher bleibt es ein Luftschloss. Ich denke die Essenz meiner Praxis bliebe doch gleich – da es eher aus mir selbst als aus meiner Umgebung kommt.
F: Was magst du an Berlin besonders, nebst der Kreativität, und was eher weniger?
FV: Ich mag das Tempelhofer Feld, das Grüne in der Stadt. Es gibt immer was zu tun, es ist etwas los und das Leben mit Kind ist irgendwie unkompliziert und frei. Manchmal sind es mir aber auch zu viele Eindrücke und zu viele Menschen – der ständige Zwist, in dem sich die meisten StädterInnen wiederfinden, denke ich. Ist man eine Land- oder Stadtmaus?
F: Wie hat sich die Stadt in den letzten Jahren verändert?
FV: Für mich hat sich Berlin in dem Sinne verändert, dass ich mich verändert habe. Ich kam als Singlefrau nach Berlin und habe viel Party gemacht. Nach ein paar Jahren kam dann unser Sohn mitten zur Corona-Zeit. Seitdem ist einfach alles anders und mein Berlin ist auch komplett anders. Fragt nicht, wann ich zuletzt feiern war! Ich meine das nicht mit Wehmut – alles hat seine Zeit. Mein aktuelles Königreich ist Schlaf, Freundschaften, gutes Essen und Natur – Füße im Gras, Kopf im Wind.
„Ich versuche meinen Kopf auszuschalten und lasse meine Hände schaffen.“
F: Du bietest auch an, ein existierendes Schmuckstück neu zu gestalten. Wird dieses Angebot oft genutzt und bringt es dich manchmal an kreative Grenzen?
FV: Ja, das wird zu meinem Glück in letzter Zeit sehr oft angefragt. Ich liebe die Challenge – bisher lief immer alles wie am Schnürchen.
F: Welches war der herausforderndste Custom-Auftrag, den du je ausgeführt hast und warum?
FV: Da fällt mir nur dieser Verlobungsring ein, Roségold sollte er sein mit einem rosa Diamanten. Die sind super selten und kamen über eine Auktion aus den USA. Der fertige Ring sollte dann in einen ausgehöhlten Kieselstein gesteckt werden, welcher wiederum an einem Kieselstrand von der zu Verlobten gefunden werden sollte. Es ging alles gut, die beiden sind jetzt auch schon lange verheiratet.
F: Workshops, in denen man selbst Schmuck herstellt, sind momentan ziemlich in. Wie schwierig oder einfach ist es eigentlich, als Laie einen Ring oder eine Kette herzustellen?
FV: Das ist wirklich für jeden Kenntnisstand geeignet und macht so viel Spaß! Ich kann es nur empfehlen, aber Vorsicht – es macht süchtig. In meinen Kursen stellen wir meist Ringe her. Die finden in Berlin etwa alle sechs Wochen statt. Für alle, denen Berlin zu weit weg ist, habe ich letztes Jahr ein Wax-Carving-Kit herausgebracht. Damit kann man in aller Ruhe zuhause arbeiten. Die Ergebnisse können sich sehen lassen.
F: Hast du ein besonderes Schmuckstück, das du nie ablegst?
FV: Meine Tattoos. Meine letzten sind alle von Daisy Watson, einer Künstlerin, die ich sehr schätze und mit der ich 2022 auch eine Kollektion gemacht habe.
F: Was möchtest du mit deinem Label in den nächsten Jahren erreichen?
FV: Ein Studio mit separatem Showroom steht definitiv auf meiner Wunschliste. Workshops und Events machen mir besonders viel Spaß – meine Arbeit findet sonst eher zurückgezogen statt. Also gerne mehr davon. Im nächsten Jahr gönne ich mir eine zwei monatige kreative Pause: Zeit zum Experimentieren und für neue Ideen. Seid also gespannt, was im Frühjahr 2026 bei YCCIJ passiert.

YCCIJ
Womit du dich auch dekorierst – es ist Schmuck. Nach dieser Devise lebt und kreiert Franziska Vogt mit ihrem Label YCCIJ – You can call it jewellery. Nach einem Abstecher in die Welt der Bürokratie folgte sie ihrem Traum, kreativ tätig zu sein. Im Atelier in Berlin-Neukölln fertigt sie abstrakte Schmuckstücke an, gibt Workshops und verwandelt alte Stücke in neue Schätze.
yccij.com
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Fotos: Conrad Bauer, Rachel Israela, Melly Key, YCCIJ
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