Der Sex & das Altenheim
Manche Dinge gilt es auf sich wirken zu lassen, bevor man ein Endurteil erlässt. Oft sind es Kleinigkeiten. Ein neues Parfum, die vermeintlich falsche Wandfarbe, gewagte Haarschnitte.
Die Palette ist lang. Ein Date im Altenheim gehört nicht dazu. Sex im Altenheim gehört definitiv nicht dazu.
Ich matchte Tom, 35, erst bei der zweiten Rotation. Es waren seine Haare, die ich vermisste. Eine kleine innere Stimme flüsterte mir zu: „Lass es! Eure Kinder hätten keine Chance mit seiner Halbglatze und deinem trickreich arrangierten Flaum.“ Doch irgendwas hatte Tom, was mich festhielt. Seine gutmütigen Augen, die kleine Zahnlücke oder die Narbe zwischen seinen Augenbrauen. Ich wusste nicht, was es war. Und es war mir egal. Ich sagte zu.
„Würde es dich stören, wenn wir uns bei meiner Mutter treffen würden? Meine Wohnung wird gerade renoviert. Und keine Sorge! Sie besucht ihre Schwester und ist bis nächste Woche in Hamburg.“
Die kluge Frau erkennt die Warnschilder vor ihrer Nase. Ja. Die kluge Frau.
Als wir vor dem Gebäude standen, dämmerte es mir. Das hier war keine stinknormale Wohnanlage. Es war eine beschissene Einrichtung.
Alles lief gut bis hierher. Er holte mich von der Bushaltestelle ab, legte seine Jacke über meine Schulter – ganz der Gentleman. Und nun standen wir hier vor diesem Damoklesschwert. Tom machte diese Ladies-first-Geste, und ich passierte die kackhässliche Schwingtür am Eingang.
Meine fünf Sinne wurden allesamt beleidigt. Es stank nach Patchouli und Desinfektionsmitteln. Die Innenfassade war durchzogen von unzähligen Rissen.
An der – nennen wir es Pforte – saß eine Dame, Mitte Vierzig; sie tat, als wäre sie in ihre Zeitschrift Homes & Garden vertieft, damit sie uns nicht begrüßen musste.
Schöne Scheiße!, dachte ich.
„Super süß!“, sagte ich stattdessen.
Der Aufzug beförderte uns geradewegs zu Zimmer 402.
Entwarnung!
Zumindest herrschte Ordnung. Eine Bettpfanne war auch nicht in Sicht. Doch ihr Bett hatte einen Haltegriff, den ich nur aus Krankenhäusern kannte. Das dazu passende Häkelset lag auf der Fensterbank, ein Besteckkasten für Tabletten ruhte auf ihrem Nachttisch.
Zugegen waren uferlose Indizien für: A-L-T!
Dieses Date hatte etwas Surreales, Abgefahrenes, Authentisches. Ich wusste, so etwas würde sich nicht so schnell wiederholen. Außerdem, wenn wir in fünfzig Jahren dauerhaft hier landeten, würden wir den Sex noch genießen oder überhaupt noch haben können?
Also machte ich das Beste draus. Und entjungferte Zimmer 402.
Schreiben ist ihr Steckenpferd: Die Kölnerin Sybille Statz liebt große Romanzen genauso wie Horrorfilme, Katzen und Serien der 90er. Noch mehr von ihr gibt’s in ihren beiden Kurzromanen „Matches for Real – Das Dating-Desaster“ und „After Sunset – Korallenrot“ sowie hier zu lesen.
Was unsere Autorin Sybille Statz beim Dating so alles erlebt? Hier findest du die weitere Folgen zum Lesen, Staunen und Schmunzeln.
Text: Sybille Statz