Wild One
Es regnet Sterne und Punkte auf Jeroen Achtien, den Küchenchef des Restaurants Sens im Vitznauerhof. Seit 2018 gibt der 33-jährige Holländer hier den Takt vor. Sucht Achtien die Muse, dann verschwindet er aus der Küche, setzt sich aufs Motorrad und braust damit raus in die Natur. Zurück am Herd zaubert er dann die Ideen aus dem Köcher, die aus einem Koch einen Künstler machen.
FACES: Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?
Jeroen Achtien: Ich hatte keine Ahnung, was ich einmal werden wollte. Mein Bruder war ein sehr enthusiastischer Koch, und mein bester Freund entschied sich ebenfalls für die Kochlehre – ein Jahr vor mir. Also dachte ich mir: let’s try! Nach einem Jahr in der Gastronomie als Koch, Bäcker und im Service war mir klar, dass ich mich für diese Branche entscheiden werde. Schließlich machte der Beruf als Koch das Rennen.
F: Wie beschreiben Sie Ihr Restaurant in einem Satz?
Jeroen Achtien: Das Sens nimmt Sie mit auf eine kulinarische Reise in einem gemütlichen, unkomplizierten Ambiente.
F: Wie lange hat es von der Idee bis zum fertigen Restaurant gedauert?
Jeroen Achtien: Zwei Wochen. Bevor wir das Restaurant Sens im April 2018 eröffneten, hatte ich noch kein einziges Gericht im Kopf. Der Start war dann auch richtig verrückt: Wir hatten viele Gäste, doch unser Team war noch nicht komplett. Neben der Fertigstellung des Restaurants waren wir zudem mit Hochzeiten, Seminaren und der Panorama-Terrasse beschäftigt, es ging also alles ganz schön rund.
F: Warum sollten wir unbedingt bei Ihnen speisen?
Jeroen Achtien: Neben der einzigartigen Location direkt am Vierwaldstättersee, bieten wir ein unvergessliches Erlebnis von Geschmackskombinationen, die so schwer zu finden sind.
F: Woran müssen Hosts denken, worüber sich andere keine Gedanken machen müssen?
Jeroen Achtien: Sich immer in den Gast hineinversetzen zu können. Wer das beherrscht, der versteht den Gast. Zudem ist es wichtig, das Wohl des Teams und sein Konzept immer vor Augen zu haben. Es können nicht immer alle Gäste zufrieden sein, aber diejenigen, die wiederkommen, die sollte man kennen und ihnen zeigen, dass man es schätzt, dass sie einen nochmals besuchen.
F: Worüber machen Sie sich zu viele Sorgen?
Jeroen Achtien: Mitarbeiter. Leider hört man derzeit immer öfters von Betrieben, die Mühe haben, gute Mitarbeiter zu finden. Aufgrund der Lockdowns haben auch viele die Gastronomie verlassen. Wir haben aktuell kein Problem, Mitarbeiter zu finden, aber viele Kollegen in der Schweiz, aus Holland, Deutschland etc. haben Schwierigkeiten.
F: Wie sind Sie als Chef?
Jeroen Achtien: Bescheiden, enthusiastisch und innovativ. Ich bin ein Küchenchef, der das Team führt. Nicht nur wenn es um die Organisation geht, sondern auch beim Kochen. Es ist mir wichtig, dass jeder Mitarbeiter auch selbst denkt und kreativ sein kann. Ich bin sehr ruhig, beobachte viel und überdenke meine Gedanken nochmals, bevor ich reagiere.
F: Welche Eigenschaften braucht ein guter Gastgeber?
Jeroen Achtien: Ein Grundinteresse an Gästen, Enthusiasmus, Empathie und Hilfsbereitschaft.
F: Was mögen Sie an Gästen am meisten?
Jeroen Achtien: Ich mag es, wenn die Gäste ehrlich sind, auch wenn sie etwas nicht mögen. So geben sie uns die Chance, ihre Gedanken zu verstehen, und wir können uns stets verbessern. Da wir als Köche auch selbst am Gast sind und die Gerichte selbst servieren und erklären, erhalten wir oft Feedbacks. Wenn man dann die extremen Emotionen spürt, welche ein Gericht auslösen kann, ist man einfach nur überwältigt und glücklich. Einige Gäste haben auch schon geweint, weil sie durch die Geschmäcker eines Gerichts an ihre Kindheit oder vergangene Erlebnisse erinnert wurden.
F: Welche Gäste sind Ihnen die liebsten?
Jeroen Achtien: Das ist schwer zu sagen, da jeder Gast seinen eigenen Charme hat. Ich mag es, wenn Gäste das erste Mal in einem Gourmet-Restaurant essen und dann am Ende sagen, dass sie das sicherlich wieder machen werden. Auch toll sind diejenigen, die selbst aus der Gastronomie kommen und Essen lieben. Sie haben eine gewisse Wertschätzung für das, war wir machen und geben auch nützliche Feedbacks. Es ist sogar toll, für Gäste zu kochen, die spezielle Wünsche haben oder am Anfang schwierig und kompliziert sind. Wenn man dann extra viel Leidenschaft zeigt und sie begeistern kann, werden aus komplizierten plötzlich die glücklichsten Gäste!
F: Was bringt Sie bei Gästen auf die Palme?
Jeroen Achtien: No show, dass jemand trotz Reservation nicht auftaucht und uns auch nicht weiter informiert. Ebenfalls ist es nicht ganz einfach, wenn Gäste uns nicht mitteilen, dass sie Allergien oder bestimmte Essensgewohnheiten haben, von welchen wir vorher nichts wissen.
F: Was ist Ihr Anspruch an Ihr Restaurant, und wie haben sich die Ansprüche Ihrer Gäste in den vergangenen Jahren verändert?
Jeroen Achtien: Wir versuchen, uns jeden Tag zu verbessern. Das ist ein Grundsatz, den ich seit Tag eins vorlebe. Ich denke, dass das auch der Grund ist, weshalb wir bis jetzt immer einen Schritt voraus waren.
F: Als Gastgeber erleben Sie einen spannenden Alltag. Welche Geschichte müssen Sie uns unbedingt erzählen?
Jeroen Achtien: Wie viele Seiten darf ich vollschreiben? (lacht) Wie bereits erwähnt, mag ich es, wenn Gäste ihre Meinung ändern und man Menschen mit Essen in den Bann ziehen kann. Einmal hatte ich ein älteres Paar, das um die 80 Jahre alt war. Die beiden haben nicht verstanden, weshalb wir in unserem Restaurant nur ein Überraschungsmenü anbieten. Nach einem ernsthaften Gespräch mit mir haben sie sich schließlich entschieden, zu bleiben und das Menü zu probieren. Nach dem Hauptgang haben sie mich an ihren Tisch gebeten. Ich ging hin und fragte, was ich für Sie tun könnte. Der Mann schob seinen Stuhl zurück, stand auf, verneigte sich vor mir und bedankte sich. Was für ein Gänsehaut-Moment!
F: Worauf achten Sie, wenn Sie selbst unterwegs sind?
Jeroen Achtien: Man sollte immer im Hinterkopf haben, in welcher Art Restaurant man ist, damit man das Essen voll und ganz genießen kann.
F: Welches ist das beste Restaurant der Welt, das Sie selbst bereits besucht haben?
Jeroen Achtien: Am meisten beeindruckt hat mich das The Fat Duck in Bray (in der Nähe von London), wobei diese Erfahrung bereits acht Jahre her ist. Meine zweitbeste Erfahrung ist mein Besuch im Alchemist in Kopenhagen vor ein paar Wochen.
F: Welches Restaurant würden Sie gerne selbst besitzen?
Jeroen Achtien: In Holland gibt es das BRUT172, ein grandioses Restaurant auf einem alten Bauernhof.
F: Was kochen Sie für sich selbst?
Jeroen Achtien: Ich liebe es, Pizza auf dem Green Egg zu kochen. Zuerst mache ich eine Gulasch-Sauce oder eine vier Stunden eingekochte Tomatensauce mit Chorizo und Rotwein, und dann belege ich die Pizza mit meinen Lieblingszutaten.
F: Wo steht Ihr eigenes Bett?
Jeroen Achtien: In Vitznau in einem schönen Apartment mit Blick auf den Vierwaldstättersee.
Das hält Jeroen Achtien von…
Avocado: Nice
Toast Hawaii: BAH!!!
Molekularküche: Cool, solange die Technik nicht den Geschmack beeinflusst.
Sprühsahne: Nein, danke.
Vorgeschnittenem Brot: Wenn seit dem Schneiden zwei Minuten vergangenen sind, okay. (lacht)
Aromat: Nicht mein Ding. Bald bringe ich mein eigenes
auf den Markt!
Tofu: Bei Nenad in Zürich kostete ich kürzlich den ersten richtig leckeren Tofu!
Nose to tail: Großartig. Ich habe 2021 zwei Kühe gekauft, dieses Jahr kommen Schweine dazu.
Veganer Wurst: Hab ich noch nie versucht. Vegane Charcuterie allerdings, und die war ziemlich gut!
Nutella: Yummie!
Thermomix: Eine gute Lösung, wenn du kein Geld für einen Robot Coupe hast.
Mikrowelle: Kann manchmal tatsächlich nützlich sein…
Chia: Warum nicht.
Ihr liebstes Fertigprodukt?
Sambal Badjak, denn in der Pfanne entsteht diese Karamellisierung, die dem Ganzen Umami verleiht. Ich konnte das Produkt in der Schweiz nirgends finden, also habe ich es selber hergestellt und verkaufe es nun in unserem Onlineshop.
Hotel Vitznauerhof und Restaurant Sens
Es geht wohl kaum malerischer: Direkt am Vierwaldstättersee und mit Blick auf die Berge liegen der Vitznauerhof und dessen Restaurant Sens, in dem Jeroen Achtien seit 2018 die Kochlöffel schwingt. 18 Gault&Millau-Punkte schmücken die Arbeit des Holländers, der für seinen bekannten Caesar Salad gerne selbst zur Pinzette greift. Was hier auf den Tellern landet, entzückt Auge und Gaumen gleichermaßen. Nix da mit abstrakten Kunstwerken, hier kommen echte Gerichte auf den Tisch, mit einem Fokus auf Regionalität, vielleicht kompliziert fürs Küchenteam, aber fröhlich und un-beschwert zu genießen für den Gast. Im Sommer buhlt die Außenterrasse mit den Gerichten des Sens um die Wette, von der aus der Sonnenuntergang dem Wort Kitschkulisse alle Ehre macht.
Hotel Vitznauerhof & Restaurant Sens, Seestraße 80, 6354 Vitznau, Schweiz, vitznauerhof.ch
Jeroen Achtien
Jung, wild und gierig danach, Fine Dining aufs nächste Level zu hissen: Über Jeroen Achtien schwebt seit November 2021 der Gault&Millau-Titel des Aufsteigers des Jahres. Solche Auszeichnungen sind toll, doch noch mehr ist es ein Küchenchef wie der 33-jährige Holländer, die einfach Freude haben an ihrem Handwerk, die mit ihren Zutaten spielen wie ein Kleinkind mit seinen Legosteinen und dabei das Tier zelebrieren, das verarbeitet wird. Nose to tail ist für Achtien eine Selbstverständlichkeit, und so scheut er sich nicht, auch die exotischsten Teile des Tieres in den Kochtopf zu werfen und schließlich auch demjenigen Gast zu servieren, der höchstens Filet Garstufe Medium bestellt.
Lese hier, wo es den besten Brunch gibt in Zürich.