Als die Mauer fällt, steigt die Populärkultur zu einer neuen gesellschaftlichen Relevanz auf. Wind of Change? Eher ein Tsunami! Die Nineties spülen eine Flutwelle von Ohrwürmern, Kult-Movies, TV-Serien und Showstars über die immer stärker globalisierte Medienlandschaft. FACES rollt die Dekade auf – und veröffentlicht in loser Folge ein Lexikon zum Zeitalter von Grunge, Girlgroups, GZSZ und – Tamagotchi.
Eieiei, was haben uns die Japaner da wieder für einen Schnickschnack ins Nest gelegt? Einen fiependen Mini-Computer mit tierischen Charakterzügen – und menschlichen Bedürfnissen.
Essen, schlafen, spielen, scheissen. Diese vier „Aktivitäten“ beherrscht das digitale Wesen von der Grösse eines Schlüsselanhängers. Übrigens hat es einen berühmten grossen Bruder: Pacman. Beide stammen aus den Labors des japanischen Game-Thinktanks BandaiNamco. 1996 lanciert dieser das eigentlich für den heimischen Markt reservierte Tamagotchi. Dem Hype folgt der Export, ein Jahr später werden tausende europäische Kinder zu Eltern auf Zeit. Für einen Sommer.
So abrupt der Trend einfährt, so schnell klingt er wieder ab, ein Re-Launch 2004 verpufft hoffnungslos. Es ist definitiv ein Fall für den Friedhof (oder allenfalls hartgesottene Nostalgier), das Ex-Kultobjekt, dessen Name sich aus dem japanischen kutamago (dt. „Ei“) und wotchi (von engl. watch, dt. „Uhr“) zusammensetzt. Das jedoch keine Timing-Hilfe ist für Dreiminuten-Eier, sondern die Lösung für jene Erwachsenen, deren Nachwuchs Haustiere möchte, die jedoch nicht den Auslauf für eine Katze haben, eine Pferdeallergie, zu wenig Geld fürs Vogelfutter – oder keinen Bock, Hundekacke aufzuheben.