Verseuchte Erde. Vergiftete Menschen. Überproduktion. Und irgendwo scheffeln Menschen in Anzügen Millionen mit billiger Mode, produziert auf dem Rücken derer, die nicht anders können. Elizaveta Fateeva kennt die Abgründe der Modeindustrie, hat sie doch selbst jahrelang bei Jil Sander und Lanvin gearbeitet. Jetzt macht die in Wien lebende Russin mit ihrem eigenen Label Fateeva alles besser und schneidert aus übrig-gebliebenen Stoffen Mode, die mehr ist als Kleidung – nämlich eine Kampfansage an den herrschenden Status Quo.
Fotos: Lisa Edi, Stefanie Moshammer, Tatyana Vlasova
FACES: Du hast für große Modelabels gearbeitet. Wie kamst du dazu?
Elizaveta Fateeva: Ich habe Mode an der Universität für angewandte Kunst in Wien studiert. Raf Simons war damals Professor – bei ihm habe ich auch während meines Studiums ein fast zwei Jahre langes Praktikum in Antwerpen gemacht und war die erste Assistentin seiner rechten Hand Pieter Mulier. Während meines Studiums auf der Angewandten habe ich neben Modedesign auch viele Kollaborationen mit Architektur- und Industrial-Design-Studierenden gemacht, wo wir gemeinsam für meine Kollektionen Schuhe entwickelt haben. Pieter hat mich als Assistentin für Schuhe und Accessoires engagiert und nach meinem Diplom nach Mailand zu Jil Sander als Junior Designerin für Frauen- und Männerschuhe geholt, wo Raf Simons bereits seit mehreren Jahren als Creative Director tätig war. Ein Jahr später kam das Angebot von Lanvin.
F: Jil Sander, Raf Simons und Lanvin gehörten zu deinen Arbeitgebern. Wie muss man sich die Arbeit für ein so großes Label vorstellen?
EF: Raf Simons war eine unglaublich aufschlussreiche Erfahrung für mich. Das Team war damals sehr klein; ich habe viel machen dürfen und müssen und habe bei sehr vielen Prozessen mitgewirkt. Bei Jil Sander bekam ich eine komplett andere Verantwortung für die Kollektionen und das Design, wobei ich neben dem Design auch viel in der Entwicklung und Produktion mitgeholfen habe. Damals habe ich viel Zeit in der Fabrik in Venedig verbracht, wo ich vor Ort sehr viel lernen konnte. Ich hatte damals zwar noch nie einen Schuh mit eigenen Händen hergestellt, kannte aber jeden einzelnen Schritt des Prozesses, weil ich die ganze Zeit in der Fabrik mit den TechnikerInnen arbeiten durfte und Designs direkt vor Ort realisieren konnte. Nach zwölf Monaten Arbeitserfahrung als Junior Designerin bei Jil Sander hat mich Lucas Ossendrijver als Head Designerin für Männerschuhe nach Paris zu Lanvin geholt. Das war ein komplett neues Gewässer – als hätte ich die Hauptschule übersprungen und wäre direkt zur Uni gekommen. Als Head Designerin in einem großen Team zu lernen, alles zusammenzuhalten und nicht unterzugehen, war am Anfang sehr schwer, aber am Ende hat es genau aus dem Grund auch funktioniert, weil wenig Erfahrung auch viel Platz zum Experimentieren geboten hat. Ich habe am Ende sieben Jahre für Lanvin gearbeitet, es war eine wunderbare Zeit in einem wunderbaren Team.
F: Bis zur eigentlichen Präsentation auf dem Laufsteg sind es viele kleine Schritte. Wie sahen diese aus?
EF: Jede Kollektion begann mit einem Input des Creative Directors, danach haben wir recherchiert, eigene Präsentationen und Visionen vorbereitet und Messen besucht, um nach neuen Materialien und Techniken zu suchen. Dann haben wir neue Leisten, Sohlen und die ersten Prototypen kreiert. Die Show-Kollektionen boten mehr Platz für Experimente, der kommerzielle Teil war reduzierter und tragbarer. Die meiste Zeit habe ich zwischen Portugal, Spanien und Italien verbracht. Beim Arbeiten mit Schuhen wechseln sich Regeln und Ausnahmen ab – genau das liebe ich. Ein Schuh ist das Resultat aus Teilen von 15 bis 20 verschiedenen ProduzentInnen. Man muss sich das mal vorstellen, da sind der Leisten, das Futter, die Sohle, Innensohle, Ösen, Schnürsenkel, Leder, Mesh und so weiter. Jeder Bestandteil eines Schuhs muss recherchiert, kreiert und entwickelt werden.
F: Welches ist die beste Geschichte aus deinen Jahren bei Jil Sander und Co.?
EF: Als ich bei Lanvin als Head Designerin für die Männerschuhe zuständig war, habe ich auf ein Sample für Pharrell Williams mit Silberstift „Pharrell You Rock!!!“ auf die Innensohle geschrieben. (lacht) Vor den Modenschauen von Lanvin besuchten uns Backstage oft Stars, die später in der Front Row saßen. Oft krabbelte ich dabei auf allen Vieren um die Models herum und kontrollierte die Schuhe, die ich auch ab und zu putzte und polierte. Immer mal wieder habe ich dabei auch die Schuhe von Schauspielerinnen und Schauspielern erwischt, worüber sich diese dann ausgiebig amüsiert haben. Irgendeinem Schauspieler habe ich zudem einmal gesagt, er solle sich bitte im Line-Up der Models aufstellen. Ich bin sehr streng!
F: Man kennt diese sehr hübschen Dokus über die SchneiderInnen bei Chanel an der Rue Cambon in Paris. Läuft das hinter den Kulissen großer Brands tatsächlich so ab?
EF: Loïc Prigents Dokus waren tatsächlich sehr hübsch und nett; sie sind auch zu der Zeit rausgekommen, als ich noch studiert habe. Meine liebste Modedoku bleibt nach wie vor die Dokumentation „Unzipped“ über Isaac Mizrahi aus dem Jahr 1995, wo alles noch etwas rougher war und man den Unterschied zwischen einem funktionierenden Modehaus mit großem Namen und einem kleinen Label mit wenig Budget gesehen hat, das versucht, mit der Unterstützung von FreundInnen etwas aufzubauen.
„Ich bin eine Außenseiterin und ein Nerd und verbringe die meiste Zeit vor der Nähmaschine.“
F: Weshalb hast du entschieden, nicht mehr für solche Labels zu arbeiten?
EF: Nach sieben Jahren bei Lanvin habe ich viel weniger Zeit im Office in Paris verbracht als am Anfang. Ich bin damals 50/50 zwischen Wien und Paris gependelt und habe nach einer neuen Herausforderung gesucht. Bei Lanvin war es mir dann irgendwann fast zu gemütlich. Parallel dazu habe ich damit begonnen, für Ferragamo in Florenz zu arbeiten und saß deshalb sechs bis sieben Mal pro Woche im Flugzeug. Ab und an wusste ich nachts nicht mal mehr, wo ich bin. Das Resultat danach waren zwei Burnouts. Einerseits wollte ich nicht mehr so weitermachen, weil ich einfach gesehen habe, dass ich so gar nichts mehr zusammenbringe und der Druck immer größer und größer wird. Andererseits habe ich nach dieser langen Zeit in der Branche hinter das System gesehen, und was ich da mitbekommen habe, hat mir gar nicht gefallen. Während ich für andere gearbeitet habe, habe ich angefangen, etwas Eigenes aufzubauen. Ich brauchte das als Rückzugsort. So kam es, dass ich 2017 FATEEVA gegründet habe.
F: Wie groß war dein Respekt davor, ein eigenes Modelabel zu gründen?
EF: Ich habe das zu Beginn gar nicht so wahrgenommen. Für die Entwicklung meiner eigenen Modelle habe ich mir ein Jahr Zeit genommen, bevor ich mein Label überhaupt lancierte oder jemandem davon erzählte. Erst, als ich das Gefühl hatte, dass sich alles richtig anfühlt, wusste ich, dass ich bereit bin, das zu machen! Das Wichtigste war, eines nach dem anderen anzugehen. Bei der Gründung 2017 konnte ich mir gar nicht vorstellen, dass später noch Strickteile dazukommen sollten und ich 2020 im Lockdown nach 15 Jahren wieder an einer Nähmaschine sitzen und Kleider nähen würde. Das Timing war richtig. Auch die Idee, mit überproduzierten Materialien zu arbeiten, kam nicht sofort. Es brauchte etwas Zeit, bis alles seinen Platz gefunden hatte. Ich bin froh, dass ich so oft gescheitert bin – denn genau das hat mich dazu inspiriert, neue Wege zu gehen.
F: Du lässt deine Teile in einer Schneiderei in Riga produzieren. Weshalb gerade dort?
EF: Ich bin in Riga aufgewachsen, nachdem mein Vater und meine Mutter sich entschieden hatten, Russland zu verlassen, als ich fünf Jahre alt war. Mit 17 bin ich nach Wien gezogen, wo ich eine Schneiderlehre gemacht habe. Während meines Studiums, als die Kollektionen immer größer und größer wurden, habe ich nach Produktionsstätten gesucht. Bei einem Besuch meines Vaters in Riga habe ich dann Aiga kennengelernt – wir arbeiten mittlerweile seit 18 Jahren zusammen. Sie ist genauso ein Nerd wie ich, und wir versuchen uns jedes Mal aufs Neue herauszufordern. In den vergangenen Jahren habe ich niemand anderen getroffen, der wie sie mit so viel Perfektion an etwas herangeht und keine Angst vor neuen Herausforderungen hat. Über Aiga bin ich auch auf andere Schneiderinnen und eine größere Produktion in Riga aufmerksam geworden, die die Komplexität der Arbeit mit überproduzierten Materialien verstehen und Qualität schätzen. Ich lebe seit zwei Jahren wieder zum Teil in Riga und bleibe für die Entwicklungs- und Produktionspozesse stets dort.
F: Ist eine zu 100 Prozent transparente Wertschöpfungskette für ein Modelabel überhaupt machbar?
EF: Nach zwölf Jahren Erfahrung in den großen Modehäusern, die eine sehr unterschiedliche Herangehensweise an kreatives Schaffen, Entwicklung und Produktion haben, wurde mir bewusst, dass es für ein solches Modeunternehmen gar nicht möglich ist, komplette Transparenz zu schaffen. Ich habe gehofft, dass die Pandemie daran etwas ändern würde… Viele junge Labels haben die Möglichkeit, von Beginn weg und von Grund auf transparent zu arbeiten und so ein nachhaltiges Fundament zu schaffen. Sie finden neue Wege in der Produktion, suchen nach nachhaltigen Alternativen und bleiben gleichzeitig kreativ.
F: Du verwendest Material aus Überproduktionen. Wie kommst du an dieses heran?
EF: Mein Bruder lebt bereits seit 25 Jahren in Italien in einer kleinen Stadt in Emilia-Romagna, wo es sehr viele Produktionen gibt. Über seine Frau bin ich dann auf die Restkäufer gekommen. Alle Bekleidungsfabriken bekommen die Bestellungen für die Produktion von den Modelabels und müssen die Materialien bei den Herstellern selbst bestellen. Die Preise hängen dabei maßgeblich von der bestellten Menge ab. Es kann also billiger sein, mehr zu bestellen als einen Aufpreis zu bezahlen, weil man die Minimumproduktionsmenge nicht erreicht. Prinzipiell bestellt man immer mehr, falls bei der Produktion Fehler entstehen oder ein Teil des Materials fehlerhaft wäre. Das ist der Grund, weshalb bei der Produktion so viel Material übrig bleibt, das nicht weiterverwendet, sondern eingelagert wird und so viel Geld verschlingt. Sogenannte Restkäufer kaufen dann dieses Material auf und verkaufen es in kleineren Mengen. Vier dieser Restkäufer habe ich in den vergangenen 16 Jahren entdeckt, mit denen ich regelmäßig zusammenarbeite. Der Besuch bei ihnen ist immer ein Abenteuer, von dem ich alles und nichts erwarte. Ich suche dann sehr lange und verbringe viel Zeit damit, die richtigen Teile zu finden, weil diese Orte oft sehr unorganisiert sind. Man darf gar keine Vorstellung davon haben, wonach man sucht, sonst findet man es nie. Ich gehe immer mit einem leeren Kopf hin. Meistens nutze ich die gefundenen Materialien, Stoffe und Accessoires als eine Inspirationsquelle oder einen Anhaltspunkt für meine Kollektionen oder Ideen.
F: Ist es für dich als Designerin schwierig, im Hinblick auf Nachhaltigkeit zu entwerfen? Fühlst du dich da eingeschränkt?
EF: Es sind genau solche Einschränkungen, die mich inspirieren. Wenn man innerhalb dieser gesetzten Grenzen arbeitet, entstehen ganz neue Ideen. Man experimentiert mit Materialien, sucht nach neuen Techniken und Verarbeitungsmethoden und wird quasi zum Produktdesigner. Wenn ich zurückblicke, finde ich es viel einfacher, so zu arbeiten, wie ich es heute tue.
F: Du produzierst nur in kleiner Stückzahl. Weshalb tust du das, und ist das überhaupt wirtschaftlich umsetzbar?
EF: Meine Produktion hängt immer von der Menge der gefundenen Materialien ab. Das ist kein Jackpot für die Produktionen, für die es viel angenehmer wäre, 100 gleiche Hemden in der gleichen Farbe in der gleichen Größe zu produzieren. In Lettland arbeite ich mit meiner Schneiderin Aiga an Vorbereitungen für kleine Produktionen, in denen mehr als drei bis vier Stück produziert werden können. Meistens schneiden wir auch alles gemeinsam direkt in der Fabrik aus, weil die Stoffe oft unterschiedliche Breiten haben und sich anders verhalten, da muss man direkt vor Ort sein, um Lösungen zu finden. Der Produktionspreis ist viel höher als bei einer großen Produktion, aber auch dieser Aspekt ist mir sehr wichtig. Ich verhandle nie über Produktionspreise, da steht für mich der gegenseitige Respekt an erster Stelle – ich weiß, dass die Fabrik für mich eine große Ausnahme macht. Es ist ein sehr starkes Team, von dem ich sehr abhänge und umgekehrt, wir haben bereits an vielen Kollektionen gemeinsam gearbeitet. Das Team ist unersetzbar. Ich weiß, dass sie alle glücklich sein müssen, damit ich glücklich bin. Ich gehe mit ihren Hunden spazieren, wir kochen und trinken gemeinsam Kaffee, ich bekomme stets frisches Gemüse aus Aigas Garten, und wir denken gemeinsam darüber nach, was wir in Zukunft besser oder anders machen können. Vergangenes Jahr hatten Aiga und ich einen schweren Autounfall, weil sie auf der verschneiten Straße in Jurmala, einem Vorort von Riga, zu schnell gefahren ist. Sie stand so sehr unter Druck, weil sie die Arbeit unbedingt fertig stellen wollte, bevor ich zurück nach Wien flog. Zum Glück ist nichts Schlimmes passiert – aber wir haben uns nach diesem Vorfall versprochen, dass wir einen solchen Stress nicht mehr zulassen werden. Das war ein sehr wichtiges Zeichen.
F: Wie überzeugst du KonsumentInnen von deinem Label, die normalerweise bei Zara einkaufen oder gar bei Shein bestellen?
EF: Ich glaube, meine KundInnen kaufen nicht bei Shein und Zara ein. Diese Aussage soll keineswegs überheblich rüberkommen. Es braucht aber eine gewisse Überzeugung, Recherche und Interesse, um etwas von mir zu kaufen. Ich würde niemals eine KonsumentIn, die normalerweise bei Fast-Fashion-Brands einkauft, überzeugen können, einen Pullover aus Upcycling-Kaschmir von FATEEVA für 400 Euro zu kaufen, der ein ganzes Leben übersteht, anstatt 20 Teile bei Shein oder Zara für das gleiche Geld zu erwerben. Dafür beherrschen Trends und Kaufwahn die Modewelt viel zu sehr. Fast-Fashion-Labels haben riesige Budgets, um die KundInnen zu überzeugen, dass das, was sie tun, gut ist – selbst wenn ein Teil gerade mal zehn Euro kostet. Diese Labels bieten keine Transparenz, keiner kann hinter ihre Kulissen blicken. Man nimmt einfach eine InfluencerIn mit zehn Millionen Followern als Kampagnenmodel oder noch besser als Ambassador und adressiert damit deren Follower als neue Kundschaft. Ein Problem ist auch das Käuferverhalten: Man gibt eher zwei Mal 20 Euro aus und das zehn Mal in drei Monaten als einmal 400 Euro.
F: Wie reagieren Designer-KollegInnen auf dein Geschäftsmodell?
EF: Ich erhalte sehr viele Ratschläge, die lustigerweise mit dem, was ich tue und wofür ich stehe, gar nichts zu tun haben. Ich bin eine Außenseiterin und ein Nerd und verbringe die meiste Zeit vor der Nähmaschine, in den Fabriken, oder bei meiner Schneiderin in Lettland, wo ich von der schillernden Modewelt auch sehr wenig mitbekomme. Darüber bin ich ehrlich gesagt sehr froh.
F: Wie hast du früher über die Modebranche gedacht, und wie beurteilst du diese Industrie heute?
EF: Als ich das erste Mal in Paris war, war es wie ein Traum, der in Erfüllung gegangen ist. Man hat alles romantisiert. Je mehr und länger ich in der Mode gearbeitet habe, desto größer wurde der Druck. Ich habe versucht, einen Schutzmechanismus zu entwickeln, um mich vor Überarbeitung zu schützen. Bei Jil Sander habe ich sechs Kollektionen und bei Lanvin vier im Jahr kreiert. Wenn man ständig an seine Kapazitäten stößt und keine Energie hat, wird einem klar, wie sensibel man ist und was passiert, wenn man auf einmal nichts mehr machen kann. Ich habe damals zwei Burnouts in nur einem Jahr gehabt, saß sechs Mal pro Woche im Flugzeug und wusste teils nicht mal mehr, wo ich war. Da kann man nicht mehr kreativ sein, wenn es ständig nur darum geht, von A nach B und nach C zu kommen. Diese Art zu arbeiten, hat irgendwann alles aus mir ausgesaugt. Ich habe mir danach sehr lange überlegt, ob ich wirklich wieder ein Teil dieser Welt sein will.
F: Kann Mode jemals nachhaltig sein?
EF: Mit Sicherheit, aber man muss auch etwas dafür tun. Es gibt sehr viele wichtige Stimmen und eine große Community von BotschafterInnen, Organisationen oder SchriftstellerInnen, die sich nicht nur mit der Nachhaltigkeit der Mode, sondern auch mit Gender, Race Appropriation, Klimawandel, Kreislaufwirtschaft und Arbeitsrecht beschäftigen. Das hängt alles zusammen. Ich habe allerdings das Gefühl, große Unternehmen oder Modehäuser, die Gewinne machen wollen, konzentrieren sich genau auf das Gegenteil. Zum Teil geht es auch gar nicht um Kreativität, sondern um die Verkaufszahlen. Vor zehn Jahren bestanden 70 Prozent aller Kollektionen, an denen ich gearbeitet habe, aus Carry-Over-Modellen – das sind Modelle, die es bereits gab und von denen man wusste, dass man sie gut verkaufen konnte. Irgendwann hatte ich nur noch mit Marketing-Menschen zu tun, die mir diktiert hatten, was ich entwerfen sollte und wie die Kollektionen auszusehen hatten. Es ist beängstigend zu sehen, was Fast Fashion im vergangenen Jahrzehnt angerichtet hat und wie blind und ignorant die meisten damit umgehen. Selbst in der Pandemie, wo man endlich die Zeit gehabt hätte, sich zusammenzusetzen und Möglichkeiten zu finden, es besser zu machen, ging es vielen darum, die Zeit einfach zu überbrücken, um danach wieder genauso weiterzumachen wie vorher.
F: Welche Materialien oder Produktionsschritte sind besonders schwierig, wenn man nachhaltig produzieren will?
EF: Um nachhaltig zu produzieren, muss man einerseits auf unser Konsumverhalten zurückkommen und andererseits auf die Entstehung des Produkts eingehen. Besonders wichtig ist die Entstehung des Materials, denn genau dessen Produktion bleibt so oft verborgen. Unser Konsumverhalten hat in den vergangenen Jahrzehnten die ganze Industrie auf den Kopf gestellt – laut verschiedensten Quellen werden jährlich 100 bis 150 Billionen neue Kleidungsstücke produziert. Baumwollfelder werden mit Pestiziden verarbeitet, man greift zu Chemikalien, damit die Prozesse beschleunigt werden, und die Erde hat keine Zeit, um sich zu regenerieren. Chemiefasern wie Polyester werden in China, Taiwan und Bangladesch bei der Produktion mit Farben mit Chemikalien versetzt, all das fließt in die Flüsse und durch die Städte, in denen Menschen leben. Wofür das alles? Damit Zara und Shein ihre Regale jede Woche mit neuen Produkten für zehn Euro füllen können, die nach dem Kauf drei bis fünf Mal angezogen werden und dann wieder im Müll landen.
Jeder Produktionsschritt ist schädlich, wenn er sich an unserem jetzigen Konsumverhalten orientiert. Es gibt so viel bereits produziertes Material. Schmeißt man das nun einfach weg, oder macht man etwas daraus? Ich finde es nachhaltiger, mit überproduziertem und bereits existierendem Leder zu arbeiten, als Flüsse in Asien zu verschmutzen, damit in Prozessen viel Wasser verbraucht wird und Tonnen von Chemikalien ins Spiel kommen, um sogenanntes „veganes“ Leder für neue Kollektionen zu produzieren.
„Bei Lanvin war es mir dann irgendwann fast zu gemütlich.“
F: Wie sollten wir heute Mode konsumieren?
EF: Die Frage lautet: Was brauchen wir überhaupt? Ich kenne einige Menschen, die nachts aus purer Langeweile auf Amazon irgendwelche Dinge kaufen, die sie nicht brauchen. Alles ist zugänglich, billig, und man kann es immer zurückschicken. Wir sind fauler geworden. Was wir komplett ignorieren, ist, dass das, was Fast Fashion in die Shops bringt, zum größten Teil von Menschen gemacht wird, die nicht mal einen Mindestlohn haben und sich ihr Leben nicht leisten können. 80 Prozent von einem Zehn-Euro-T-Shirt landen in der Tasche der Brands.
F: Welcher Moment hat dein Umdenken auf nachhaltige Produktion maßgeblich beeinflusst?
EF: Als ich zum ersten Mal diese riesigen Lager in Italien gesehen habe, in denen diese ungebrauchten Schätze liegen: nicht gebrauchte Stoffe, Garne, Leder, Knöpfe, Nähseide. Dann habe ich aber auch erlebt, wie eine ganze Kollektion vernichtet wurde, weil ein kleiner Fehler entdeckt wurde. Damals wusste ich nicht, dass man zu solch drastischen Methoden greifen würde, obwohl man bestimmt eine andere Lösung hätte finden können. Wenn man für ein großes Modehaus in einer hohen Position arbeitet, ärgert man sich natürlich ab und an, wenn der Manager kommt und sagt, dass man sparen muss oder kein Budget hat. Aber genau dieser Umstand hat bei mir zum Umdenken geführt, Probleme zu lösen und Lösungen zu finden, indem man nicht zu billigeren Materialien greift und viel vorproduziert, sondern die Prozesse umdenkt. Das heißt keineswegs, dass man die eigene Kreativität einschränkt, man denkt zwar ziemlich kompliziert, aber anders und weiter.
F: Was ist das Tollste am Beruf der Designerin, und was ärgert dich am meisten?
EF: Es macht mich glücklich, etwas zu erschaffen, was jemand anderem Freude bereitet. Die Möglichkeit zu haben, nicht nur etwas zu zeichnen, sondern auch selber herstellen zu können, ist toll. Mich ärgert es, wenn die KundInnen über die Preise meiner Teile verhandeln wollen bei einem Unikat, das vier bis fünf Tage Arbeit in Anspruch genommen hat, aus besten Materialien hergestellt wurde und sowieso 20 Mal weniger kostet als von einer großen Marke, die dasselbe Teil mindestens hundert Mal produzieren würde. Ich verabscheue diesen Moment der Rechtfertigung und den Moment, wenn die KundInnen nicht das Kleidungsstück, sondern ein Schnäppchen kaufen und gar nicht daran denken, was dahintersteckt. Wenn du dich unter deinem eigenen Wert verkaufst, schätzen dich die Menschen noch weniger.
F: Welches Vorurteil über den Designberuf nervt dich?
EF: Als in Wien lebende Russin, die nur die ersten fünf Jahre ihres Lebens in Russland gelebt hat, hat mich das Vorurteil der Oligarchentochter lange begleitet. Die Meinung der Menschen war, dass nur jemand mit viel Geld oder Verbindungen Designer oder Designerin werden könnte. Ich komme aus einer Hippie-Künstlerfamilie, die kein Geld hatte, und habe sehr hart gearbeitet, um dorthin zu kommen, wo ich jetzt bin. All die Erfahrungen und Expertise, die ich habe, kann kein Geld auf der Welt erkaufen.
F: Sind Modewochen wie die Fashion Week in Paris oder Mailand überhaupt noch zeitgemäß?
EF: Ich verfolge seit Jahren gar nichts mehr. Als Phoebe Philo von Celine weggegangen ist, habe ich aufgehört, mir die Shows anzuschauen. Meiner Meinung nach haben sehr viele Labels ihre Identität verloren, es ist zu einem großen Teil ein ignoranter Zirkus geworden.
F: Wer ist das Zünglein an der Waage, damit sich die Modebranche in die richtige Richtung entwickelt?
EF: Es ist Teamwork, das kann kein Mensch alleine schaffen. Ich frage mich tatsächlich manchmal, ob es etwas bringen würde, wenn Kim Kardashian zum Beispiel alle ihre Follower adressieren und diese auf Fast Fashion aufmerksam machen würde. Ich glaube, dass zu viele von uns gar keine Ahnung haben, was da passiert.
F: Was wünschst du dir von ModekonsumentInnen?
EF: KonsumentInnen entscheiden im Endeffekt, ob mehr oder weniger produziert werden muss. Unser Verhalten dem Trend und Produkt gegenüber ist sehr wichtig; je größer die Nachfrage und je mehr wir konsumieren, desto mehr wird produziert und auf den Markt gebracht. In der Pandemie hat sich unser Verhalten dem Konsum gegenüber sehr verändert; ich weiß aber gar nicht, ob das langfristig etwas bewirkt hat. Im Moment läuft alles genau so wie früher – und das ist sehr beängstigend. Man bekommt alles zu jeder Tageszeit, ob man es braucht oder nicht. Mein Wunsch wäre, dass ModekonsumentInnen mehr junge Labels unterstützen, die nachhaltig und transparent arbeiten und produzieren. Genau die sind es nämlich, die für die nächsten Jahre verantwortlich sind. Man darf nicht vergessen, dass genau diese Labels um ihre Existenz kämpfen und die Kundschaft viel dringender brauchen als millionenschwere Modehäuser, die genauso arbeiten, wie sie es schon immer getan haben.
F: Wie haben sich die Rolle und das gesellschaftliche Ansehen von DesignerInnen in den vergangenen Jahren verändert?
EF: Mode ist politischer und offener geworden. Es gibt mehr Frauen an der Spitze, die sich für Themen wie Feminismus und Emanzipation sowie für Body-, Race-, Sex- und Orientation-Themen einsetzen. Es ist sehr wichtig, dass die Mode zugänglicher geworden ist und dass da gleichzeitig Diskurse stattfinden, die noch vor zehn Jahren ein Tabu waren. Darauf kann die neue Generation von Designerinnen und Designern aufbauen, allerdings brauchen wir dringend Lösungen für die Zukunft, nicht noch mehr Kleidung und Show.
F: Mit welchem Teil in deinem Kleiderschrank verbindest du am meisten Emotionen und weshalb?
EF: Ich habe mir vor 20 Jahren eine Männerhose von Vivienne Westwood in einem Shop in Wien gekauft. Ich habe damals in einer Eisdiele gearbeitet und beinahe meinen ganzen Monatslohn dafür ausgegeben. Ich habe die Hose fast jeden Tag getragen, und als sie angefangen hat, auseinanderzufallen, habe ich den Schnitt abgenommen und die Hose aus anderen Stoffen neu genäht – es war allerdings nie das gleiche. Egal, was ich tat, ich habe es nie so hinbekommen. Mit anderen Worten: Ich habe beinahe das gemacht, was normalerweise Fast-Fashion-Unternehmen tun, aber es war stets immer nur eine Kopie und weit weg vom Original.
F: Wovon hast du zu viel und wovon zu wenig?
EF: Zu viele Ideen und nur zwei Hände.
F: Wie wichtig sind Print-Modemagazine für dich?
EF: Sehr wichtig. Ich sehe, dass meine Kundinnen nach wie vor sehr viel Hardcopy lesen und eigentlich kaum Wert auf die sozialen Medien legen. Es sind auch Frauen, die sich Zeit für etwas nehmen und sich in das Thema Nachhaltigkeit und Mode reinlesen. Der erste Eindruck ist sehr wichtig, denn ich erzähle mit FATEEVA auch eine Geschichte. Das kann man in keinem Instagram-Foto oder einer Instagram-Story, keinem Facebook-Eintrag oder einem Newsletter rüberbringen.
F: Wie stellst du dir die Modebranche in zehn Jahren vor?
EF: Ich hoffe, dass Mode in zehn Jahren wieder Sinn machen wird.