Sie hat ihr eigenes Label, für das sie seit zehn Jahren saisonunabhängige Mode entwirft, arbeitet für Balenciaga, Jakob Schlaepfer und Atelier Pfister, früher mit Walter van Beirendonck, Dries van Noten und andere Größen, die Lela Scherrer höchstens der Notwendigkeit wegen in ihrem CV erwähnt. Während anderen beim Studieren eben jenes die Kinnlade ins Bodenlose fällt, zuckt die Baslerin darüber die Schultern, sieht sie den Design-Beruf doch als das, was er ist: harte Arbeit.
FACES: Deine eigene Kollektion ist nur ein Teil deiner Arbeit. Was antwortest du, wenn dich jemand fragt, was du tust, und welche Arbeiten liegen gerade auf deinem Tisch?
Lela Scherrer: Ich arbeite als Designerin konkret an vorwiegend textilen Mode- und Interior-Produkten, entwickle Design-Konzepte für Kunden und arbeite im Bereich Design Research sowie auch in beratender Funktion unter anderem im Retailbereich. So liegen also auch immer verschiedene Projekte und Arbeiten nicht nur auf dem Tisch, sondern auch auf dem Boden und hängen auf Büsten und über Kleiderstangen. Aktuell sind dies Research-Ideen für Kollektionen und Objekte, textile Entwicklungen im Bereich Interior Design, Ideen für eine Zusammenarbeit mit Künstlern, Recherchen und Entwicklungen für die eigene Arbeit – und Admin…
F: Was macht dir an deiner Arbeit am meisten Spaß, und welcher Teil gefällt dir gar nicht?
LS: Ich liebe das Eintauchen in Welten, das Recherchieren von Materialien und Farben, die räumliche Entwicklung von Kleidern bis hin zum Finalisieren in Form von Fotos oder anderen Präsentationsformen sowie die Zusammenarbeit und den Austausch mit anderen Professionellen – Teams, Partnern, Kunden oder Produzenten, aber auch Studierenden. Es ist toll, international zu arbeiten, ich liebe Reisen, Sprachen und Menschen und bin begeistert von meinem Netzwerk, es ist Teil meines Kapitals. Die administrative Arbeit als Selbständige begeistert mich nicht. Anstrengend finde ich die Attitüden, die in unserem Berufsfeld immer wieder anzutreffen sind, und fehlendes partnerschaftliches Arbeiten zwischen involvierten Parteien.
F: Textildesign ist ein wichtiger Teil der Mode, wenn auch ein unterschätzter. Wie gehst du an ein Projekt heran, wenn du Stoffe entwirfst?
LS: Das hängt vom Projekt ab. Für die eigene Arbeit liegen und hängen schon zahlreiche Ideen hier im Atelier, die darauf warten, realisiert zu werden. Diese tauchen nicht selten auch in Aufträgen wieder auf. Für letztere geben meine Visionen für den Kunden sowie der Austausch mit ihm den Input. Dann beginnen die Recherchen, und ich lege Ideen und später Entwürfe vor. Die Diskussion mit dem Gegenüber ist ausschlaggebend für das Design, bevor in Zusammenarbeit mit Textilfirmen die Umsetzung beginnt.
F: Du berätst zahlreiche Unternehmen und forschst auch selber in Sachen Design. Was genau muss man sich darunter vorstellen?
LS: Auch das hängt vom Gegenüber bzw. der Fragestellung ab. Ich knüpfe an Wissen und ein Netzwerk an, das ich mir über die Berufsjahre erarbeitet habe, und entwickle Lösungen mit den Partnern. Bei der Designforschung bin ich meistens an der Umsetzungsphase beteiligt. Dieses Feld ist sehr breit und schließt alles mit ein, was unsere Branche und das erweiterte Feld tangiert. Wir lernen ja viel, wenn wir über den Tellerrand schauen und uns erkundigen, wie es die anderen Branchen machen.
F: Du arbeitest unter anderem für Balenciaga. Wie bist du zu diesem Job gekommen, und wie schafft man es überhaupt, einen solchen zu ergattern?
LS: Ich habe bereits früher für verschiedene Marken in den Benelux-Ländern mit Balenciagas Artistic Director zusammengearbeitet. Da wir gut und gerne zusammen arbeiten, ergab sich auch diese Zusammenarbeit.
„Designer ist ein Job wie jeder andere. Ob man sich darin entfalten kann, ist die Schlüsselfrage.“
F: Weshalb hast du dich für eine Arbeit in der Mode- und Design-Branche entschieden?
LS: Weil dieser Beruf so facettenreich ist und praktisch alles umfasst, was mich interessiert.
F: Ist Designer ein Traumberuf?
LS: Designer ist ein Job wie jeder andere. Ob man sich darin entfalten kann, ist die Schlüsselfrage.
F: Wie wichtig sind große Design-Schulen wie das Central Saint Martins College oder die Parsons School of Design?
LS: Der Einstieg ins Berufsleben kann sich etwas weniger holprig gestalten, da das Netzwerk dieser Schulen gut funktioniert. Der Markt ist allerdings übersättigt und der Einstieg ins Berufsleben noch schwieriger geworden.
F: Desillusionierte Jungdesigner und Kollektionen, die keiner kauft: Wie schätzt du die Situation von Designern zur heutigen Zeit ein?
LS: Die Chance, als Designer erfolgreich auf dem Markt zu bleiben – nicht nur zu sein –, hängt ab von einem einzigartigen Geschäftskonzept. Viele Designer versuchen sich noch im alten Modesystem zu etablieren, was spätestens seit Corona definitiv der Vergangenheit angehört. Die Ignoranz gegenüber dem großen unternehmerischen Anteil der Arbeit als selbständiger Designer ist fatal.
F: Wie wichtig sind Förderungen des Bundes und von Stiftungen für Schweizer Designer, und würdest du dir mehr nationale Unterstützung wünschen?
LS: Professionelle und weiterführende Start-up-Förderung ist sinnvoll. Das Verständnis des ganzen Bogens einer Designer-Karriere fehlt jedoch in der Schweiz, bei der Presse sowie auch bei den Förderern. Design wird in der Schweiz immer noch marginal anerkannt. Damit Design in der Schweiz klar und mit deutlicher Relevanz wahrgenommen wird, braucht es eine kontinuierliche Präsenz von Designern in allen Phasen ihrer Karriere, nicht nur als Jungdesigner und in der Endphase der Karriere. Entsprechende Unterstützung wäre wünschenswert.
F: Was sind Designer für Menschen?
LS: Glücklicherweise gibt es für keine Berufsgattung eine allgemeingültige Definition. Ich mag Designer, die Grenzen verschieben, alles in Frage stellen und das Unmögliche realisieren.
F: Du hast mit Walter van Beirendonck und Dries van Noten zusammengearbeitet. Wie groß ist die Ehrfurcht vor solchen Namen?
LS: Sie erübrigt sich im Studio, wenn man zusammenarbeitet. Großartig, was man von erfahrenen Designern lernen kann. Schön zu realisieren, dass wir alle „nur“ Menschen sind.
F: Sind Designer eher introvertierte oder extrovertierte Menschen?
LS: Introvertierte Designer kenne ich kaum. Die meisten sind outgoing und neugierig.
F: Wie urteilst du über die Mode-Branche?
LS: Berufsethos und Respekt trifft man meines Erachtens etwas zu wenig an.
F: Braucht es Modewochen wie die Fashion Week in Paris oder Mailand?
LS: Ein professionelles Zusammenkommen ist unerlässlich – in welcher Form wird sich zeigen.
F: Ist Mode heute mehr Kommerz als Kunst?
LS: Auch Designer und Künstler müssen ihre Miete bezahlen und Essen kaufen können. Somit müssen wir alle in der Lage sein, unsere Arbeit zu verkaufen. Es wäre hilfreich, diese romantischen, naiven Berufsideale ad acta zu legen – it’s a business like any other.
F: Was ist die härteste Lektion, die du in der Mode-Branche gelernt hast, und welche die wichtigste?
LS: Das Erleben des grundsätzlich vorherrschenden Egoismus ist hart als junge Designerin. Glücklicherweise trifft man auch andere Menschen. Diese sind dann umso wertvoller, professionell sowie freundschaftlich. Für mich ist Authentizität auf persönlicher sowie professioneller und kreativer Ebene besonders wichtig.
F: Wie lautet der beste Ratschlag, den du je erhalten hast?
LS: Den habe ich von einem Kollegen bei Walter van Beirendonck erhalten. Er hatte bei Dries van Noten in den Anfangsjahren den Verkauf geleitet: Großzügiges Bekommen bedingt großzügiges Geben. It’s a generous give and take….
F: Wobei hat dir die aktuelle Pandemie geholfen, und inwiefern steht sie dir im Weg?
LS: Sie half beim Fokussieren auf alles Relevante – geschäftlich sowie privat – und hat zu Entschleunigung und Erholung beigetragen. Im Wege steht sie mir insofern, als dass es immens viel schwieriger ist, ohne Reisen und ohne Messen im Kunst und Designbereich mit Fachpersonen im Austausch zu bleiben und Neues zu entdecken.
F: Weshalb ist es so wichtig, immer wieder aus der Komfortzone auszubrechen oder sich gar nicht erst eine zu schaffen?
LS: Ich glaube, dass Innovation und Kreativität in der Komfortzone nicht bestehen können. Mich macht das zufrieden, wenn es auch ein eher anstrengendes Leben ist – jedoch nie eintönig und mit vielen Herausforderungen.
F: Du hast lange in Belgien gelebt, bevor du wieder in die Schweiz gezogen bist. Was hat dir im Ausland gefehlt, und was vermisst du hier?
LS: Mir hat nicht wirklich viel gefehlt in Belgien, vorwiegend meine Familie, vielleicht die Organisiertheit der Schweiz. Belgien ist in vielerlei Hinsicht doch ziemlich chaotisch. Das hat natürlich auch seine guten Seiten – Belgien wird auch das Land der Hintertüren genannt. Das ermöglicht vieles, was hier durch Reglementierungen und das teure Leben verunmöglicht wird. Diese Uneingeschränktheit vermisse ich hier.
F: Was hat Basel, was andere Städte nicht haben?
LS: Der Stellenwert von Kunst und Architektur in einer solch kleinen Stadt ist großartig, vor allem zu Zeiten der Messe. Auch das Angrenzen an zwei große, europäische Länder ist außerordentlich und spürbar. Die Präsenz von internationalen Konzernen mit ihren Arbeitnehmern aus Ländern der ganzen Welt ist spürbarer als noch vor 15 Jahren, und das tut dieser Stadt sehr gut.
F: Welcher ist der wichtigste Kontakt deines internationalen Netzwerks, und wann nutzt du ihn?
LS: Ich schätze mein internationales Netzwerk sehr und habe keine konkreten Präferenzen. Wichtig für mich sind die Pflege des Netzwerkes und die Arbeit mit Herz. Professionelle Kontakte auf freundschaftlicher und respektvoller Ebene sind für mich unabdingbar.
F: Antwerpen, die Metropole der Mode. Weshalb lohnt es sich, als Designer gerade diese Stadt zu besuchen, und weshalb bist du damals hingezogen?
LS: Die Präsenz, das Verständnis und auch die Selbstverständlichkeit von Design sind nicht zu vergleichen mit dem, was wir hier kennen. Das spürt man auch beim Besuch dieser Stadt, auch wenn Antwerpen wie andere Städte ebenfalls durch die Krise gebeutelt wurde und die Fülle abgenommen hat. Im Studium war ich begeistert von Walter van Beirendonck und seinen W<-Kollektionen und Shows. Deshalb wollte ich damals gerne für ihn arbeiten, was dann auch geklappt hat.
F: Deine eigenen Kollektionen sind saisonunabhängig. Wie lange dauert es, bis auch die Großen der Branche weg von Trendkollektionen kommen, und was braucht es dafür?
LS: Spätestens seit Corona und dem starken Fokus auf Nachhaltigkeit liegt dies auf der Hand. Viele Brands sind bereits dabei umzustellen. Schlussendlich geht es aber ja nicht nur ums Umstellen, sondern darum, weniger zu konsumieren, was mit der Information und Aufklärung des Konsumenten zusammenhängt. Für mich persönlich ist es seit zehn Jahren der einzige Weg, Kleider zu machen. Die Begeisterung wächst mit der Idee, einzelne Stücke oder maximal Kleinserien herzustellen. Es ermöglicht mir eine große gestalterische Freiheit.
F: Wie schaltest du am besten ab?
LS: Wenn ich Family Time habe, Freunde treffe oder mir was Gutes tue: Massage, Yoga, Tennis… die Klassiker. Oder wenn ich verreise.
F: Was sammelst du?
LS: Sammeln erlaube ich mir nur im Atelier – außerordentliche Materialien aller Art…