Für billige Kleidung müssen Mensch und Natur leiden. Emma Kistemaker und Lorena Madarena wollten diesen Umstand nicht länger hinnehmen und gründeten kurzerhand ihr eigenes Modelabel. Mit Manusia haben sie vor Kurzem den Un-Dress Fashion Award gewonnen, der nachhaltige Mode-Unternehmen auszeichnet. Zeit, die beiden Baslerinnen besser kennen zu lernen.
FACES: Was genau hat den Ausschlag zur Gründung von Manusia gegeben?
Emma Kistemaker & Lorena Madarena: Wir sind beide modebegeistert und gehörten selbst zur Kundschaft von Fast-Fashion-Brands. Durch diverse Seminare an der Universität wurden wir schliesslich auf die fatale Schattenseite der Modeindustrie aufmerksam. Wir waren entsetzt über die Bedingungen, unter welchen die Arbeiter der Baumwollplantagen, der Fabriken und der Manufakturen leben müssen, ganz zu schweigen von den enormen negativen Auswirkungen, die Fast Fashion auf die Umwelt hat. Unsere Reise nach Indonesien hat uns in unserem Entsetzen noch weiter bestärkt. Deshalb haben wir zunächst versucht, Modelabels in der Schweiz zu finden, welche einerseits nachhaltig und fair produzieren und andererseits auch unserem Kleidungsstil entsprechen. Leider wurden wir hierbei nicht fündig, und so haben wir entschieden, unser eigenes Modelabel zu gründen.
F: Was war die grösste Herausforderung dabei, ein eigenes Modelabel zu gründen?
EK & LM: Wir hatten durch das an der Universität vermittelte Wissen eine wirtschaftliche Grundbasis über beispielsweise die Implementierung von Geschäftsmodellen, die Vermarktung von Produkten und die Unternehmensfinanzierung. Jedoch hatten wir beide keine Erfahrung mit der Textilindustrie, was bei uns die grösste Herausforderung darstellte. Wir mussten uns also das Wissen aneignen, wie ein Kleidungsstück von der rohen Baumwollpflanze über unterschiedlichste Verarbeitungsstufen zum finalen Prototyp produziert wird. Auch hatten wir beide kein Hintergrundwissen über das Design von Kleidungsstücken. Wir mussten uns somit mit unterschiedlichen Modedesignkonzepten auseinandersetzen, virtuelle und manuelle Designs erstellen, mit unserer Näherin Schnittmuster entwickeln, Masse definieren und schliesslich unsere Prototypen produzieren.
F: Manusia bedeutet „Mensch“ auf Indonesisch. Wie kamt ihr zu diesem Namen, und welche Werte sind für euch damit verbunden?
EK & LM: Wir wurden auf unserer Reise durch Indonesien auf die Arbeitsbedingungen der Textilarbeiter persönlich aufmerksam. In uns hat sich dabei der Drang weiter verstärkt, etwas zu verändern, indem wir es selbst in die Hand nehmen. Wir konnten es nicht nachvollziehen, wie man Menschen unter solchen menschenunwürdigen Verhältnissen arbeiten lassen konnte. Jeder Mensch hat es verdient, unter fairen Arbeitsbedingungen und zu fairen Löhnen zu arbeiten. Zusätzlich haben wir als Menschen die Verantwortung, unser Verhalten so anzupassen, dass der Planet und dessen Ressourcen nicht ausgebeutet werden, damit zukünftige Generationen diese nutzen können. Mode soll menschlich sein und sich menschlich anfühlen.
F: Was sind die Schwierigkeiten darin, nachhaltige Mode zu kreieren?
EK & LM: Die grösste Herausforderung war, einen Produzenten und eine Manufaktur zu finden, die einerseits nachhaltige Materialien wie beispielsweise Bio-Baumwolle produziert und andererseits den Arbeitern auch faire Arbeitsbedingungen zusichert wie beispielsweise faire Löhne, Versicherungsschutz, Anrecht auf Urlaub und Pausen oder eine sichere Infrastruktur.
F: Ihr produziert eure Kollektionen in der Türkei, weshalb?
EK & LM: Wir haben in der Türkei eine Produktionsstätte und Manufaktur gefunden, die alle unsere Werte widerspiegelt und diese auch mit Zertifikaten belegen kann. Unsere Partner verfügen über GOTS-zertifizierte Bio-Baumwolle, gehören zur Fair Wear Foundation und sind zertifiziert für Quality For Women At Work. Izmir ist ein grosser Standort für Bio-Baumwolle, und dadurch, dass die Produktion sowie die Verarbeitung innerhalb der gleichen Region stattfinden, können wir eine hohe Transparenz in der gesamten Wertschöpfungs- und Lieferkette sicherstellen. Wir haben unsere Partner 2019 in Izmir besucht, und dies hat unsere Überzeugung bestärkt, den richtigen ausgewählt zu haben.
F: Ihr unterstützt mehrere Organisationen und Projekte. Welche sind das?
EK & LM: Da wir unsere Kleidung aus der Türkei in die Schweiz liefern lassen, möchten wir die durch die Lieferung entstandenen Emissionen kompensieren, indem wir in Projekte wie beispielsweise die Wiederaufforstung der Wälder in Indonesien investieren. Da wir auch für Menschenrechte einstehen, haben wir 2020 Accessoires aus Reststoffen produziert. Deren Erlöse haben wir im Zeichen der Black-Lives-Matter-Bewegung an eine Organisation in Basel gespendet, die sich für die Black Community engagiert.
F: Ihr habt gerade den Un-Dress Fashion Award gewonnen, bei dem ihr nicht nur beim Publikumsvoting, sondern auch bei der Jury ganz weit vorne wart. Was bedeutet dieser Sieg für euch?
EK & LM: Dieser Sieg hat uns gezeigt, dass unsere Community sowie auch professionelle Akteure der Modeindustrie an unsere Werte glauben und auch das Potential sehen, das Bewusstsein für diese Thematik zu fördern und sich in der Zukunft noch weiter damit auseinanderzusetzen, sei es als Brand oder aus der Konsumentenperspektive. Es zeigt uns auch, dass das Konsumverhalten in einer Veränderungsphase ist, und es freut uns zu sehen, wie gross die positive Resonanz gegenüber Manusia war. Es bestärkt uns als Unternehmerinnen, noch weitere Innovationen voranzutreiben.
F: Wie hat sich eure Herangehensweise an Mode und Kleidung in den vergangenen Jahren geändert?
EK & LM: Unser Konsumverhalten hat sich in den vergangenen Jahren enorm verändert, nicht nur in Bezug auf Mode, sondern auch allgemein. Während wir früher nur bei bekannten Modelabels Käufe getätigt haben, ohne uns über die Herkunft und die Materialien zu informieren, sieht die Situation heute anders aus. Wir beurteilen jeden Kauf aus einem anderen Blickwinkel, und jede Kaufentscheidung basiert auf unterschiedlichsten Kriterien, die uns entweder zum Kauf bewegen oder davon abhalten. In Bezug auf Mode haben wir eine grosse Leidenschaft für Secondhand-Shopping entwickelt, was immer durch ein einzigartiges Erlebnis unterstrichen wird.
F: Wie entlarvt der Konsument Greenwashing?
EK & LM: Nachhaltige Unternehmensmassnahmen sind erst dann erfolgreich, wenn sie die gesamte Wertschöpfungskette umfassen und das Wort „green“ nicht mehr betont werden muss, sondern selbstverständlicher Teil des Lebens- und Arbeitsalltags ist. Mit Zertifizierungen können Marken ihren Kunden beispielsweise auch zeigen, dass sie Verantwortung übernehmen. Diese schaffen Vertrauen und stellen sicher, dass die Massnahmen nicht auf leeren Versprechen basieren.
F: Welcher Umstand in der Mode-Branche schockiert euch am meisten?
EK & LM: Der Textilsektor ist nach der Ölproduktion der zweitgrösste Umweltverschmutzer weltweit. Die 52 Kollektionen, welche von Fast-Fashion-Modelabels jährlich produziert werden, haben fatale Auswirkungen auf die Textilarbeiter und die Umwelt. Während die Modeindustrie durch Massenproduktion zu einer global verheerenden Verschwendung und Ausbeutung von Ressourcen führt, werden bei der Produktion der Textilien Pestizide verwendet, welche die Gesundheit der Arbeiter enorm gefährden. Neben diesen katastrophalen Bedingungen gehört die Textilindustrie auch zu den unterbezahltesten Sektoren weltweit. Der Frauenanteil in der Textilindustrie liegt dabei bei 85 Prozent!
F: Was stört euch an der Mode-Branche, und womit überrascht sie euch positiv?
EK & LM: Es stört uns, dass einige grosse Mode-Labels nicht ihre Geschäftstätigkeiten überdenken und weiterhin auf Kosten Dritter profitieren. Anstelle innovativer Lösungskonzepte werden weiterhin nur Greenwashing-Aktivitäten betrieben. Andererseits freut es uns zu sehen, dass Konsumenten immer aufmerksamer auf die Thematik werden, Transparenz verlangen und Unternehmen mit Innovationen auf den Markt treten, um die neuen Kundenbedürfnisse zu bedienen.
F: Wo muss die Mode-Branche als erstes anpacken?
EK & LM: Modelabels müssen ihre Geschäftsmodelle so ausrichten, dass diese nachhaltig für den Menschen und die Umwelt sind. Es soll weder zu Überproduktion und Verschwendung noch zu unterbezahlten Löhnen und gefährlichen Arbeitsbedingungen kommen. Wichtig ist es, eine nachhaltige Wertschöpfungskette und eine transparente Lieferkette sicherzustellen.
F: Sind Trends überhaupt noch zeitgemäss?
EK & LM: Trends sind aus unserer Gesellschaft kaum weg zu denken. Wir lieben es alle, „neue“ Kleidung auszuprobieren – was aber auch durch den Kleidertausch unter Freundinnen und Freunden und Secondhand-Käufe auf einer nachhaltigeren Ebene möglich gemacht wird.
F: Nachhaltigkeit ist ein enorm grosser Begriff. Wie definiert ihr diesen für euch?
EK & LM: Nachhaltigkeit bedeutet für Manusia, die Wertschöpfung so auszugestalten, dass sie nachhaltig für zukünftige Generationen ist und nicht auf Kosten Dritter entsteht. Das bedeutet, dass wir das Design so konzeptualisieren, dass minimale Ressourcen verwendet werden, kein Abfall produziert wird und die Langlebigkeit der Kleidung sichergestellt ist. Auch bedeutet das, dass für die involvierten Parteien hierbei die Sicherheit, faire Arbeitsbedingungen und Transparenz im Vordergrund stehen.
F: Könnt ihr nachvollziehen, weshalb sich andere Labels so schwer damit tun, nachhaltig zu produzieren?
EK & LM: Profit steht bei den meisten Modelabels im Vordergrund. Das wird durch schnelle Massenproduktion erreicht, jedoch auf Kosten der Arbeiter und der Umwelt. Durch den Einsatz von Pestiziden lassen sich die Stoffe schneller produzieren, und um die Kollektion wiederum schnellstmöglich zu verkaufen, leisten die Arbeiter zu unterbezahlten Löhnen und in unsicheren Gebäude-Infrastrukturen unzählige Überstunden oder gar Kinderarbeit.
F: Wie und woraus muss ein Kleidungsstück produziert sein, damit wir es mit gutem Gewissen als nachhaltig betiteln und tragen können?
EK & LM: Die Textilien sollen so produziert werden, dass sie nicht dem Menschen oder der Natur schaden. Wir empfehlen Textilien, die auf natürlicher Basis produziert und gefärbt werden. Jedoch liegt auch ein grosser Fokus auf der Wiederverwertung. Beispielsweise gibt es bei einer Produktion übrig gebliebene Stoffe, „Deadstocks“, die als Abfallprodukte gelten, aber grundsätzlich für neue Produkte wiederverwertet werden können. Gütesiegel sind jeweils gute Indizien, um sicher zu gehen, kein Opfer einer Greenwashing-Initiative zu sein und mit gutem Gewissen den Kauf tätigen zu können.
F: Ihr habt euch in eurer ersten Kollektion auf vier Teile konzentriert, die jeder im Kleiderschrank haben sollte. Wie kamt ihr auf diese Idee, und wie entwickelt ihr diese weiter?
EK & LM: Diese Idee ist Teil eines nachhaltigen Designs. Wir wollten nicht nur Teile produzieren, die man gelegentlich anzieht und die dann wieder in der Kleidersammlung landen. Stattdessen haben wir uns für Schlüsselstücke entschieden, die oftmals getragen werden, vielseitig kombinierbar sind und somit Verschwendung und Abfall vorbeugen.
F: Worin oder wobei möchtet ihr noch besser werden?
EK & LM: Wir möchten innovative Geschäftsmodelle entwickeln, die vom linearen Produktionsmodell abweichen und Nachhaltigkeit auf einem noch höheren Niveau fördern, beispielsweise durch zirkuläre Modelle.
F: Wie geht es mit Manusia weiter?
EK & LM: Wir sind gerade in der Finalisierung der Sommerkollektion 2021, welche am 29. Mai veröffentlicht wird. Ihr dürft also auf unsere neue Kampagne gespannt sein.
Un-Dress Fashion Award
2021 feiert das Projekt Un-Dress des St. Galler Uni-Vereins Oikos sein Zehnjähriges. Seit Beginn setzt sich Un-Dress für nachhaltige Mode ein, veranstaltet Events,
Talks und zuletzt die diesjährige Un-Dress Fashion Award Show, um den Konsumenten auf die Dringlichkeit der Nachhaltigkeit aufmerksam zu machen. Im Rahmen des
Un-Dress Fashion Awards gingen zwölf Schweizer Modelabels ins Rennen, das das Basler Duo Manusia schließlich für sich entschied.
Manusias Tipps für nachhaltiges Einkaufen
Erstens: Versucht bewusst nur Dinge zu kaufen, die ihr wirklich benötigt. Es gibt gewisse Kleidungsstücke, die man kreativ zu anderen Outfits umwandeln kann. Unser „Kleid“ von Manusia ist ein gutes Beispiel, da es durch die Zusammensetzung des Blazers und des Rocks zu einem neuen Outfit wird.
Zweitens: Unterstützt lieber lokale Modelabels, in dem ihr bei ihnen einkauft anstatt bei grossen Marken. Bei kleineren Unternehmen ist es einfacher zu verstehen, woher die Produkte stammen und wie die Stoffe verarbeitet wurden.
Drittens: Tauscht eure Kleidung, kauft bei Secondhand-Shops, oder seid kreativ, und verwertet euer Kleidungsstück zu etwas Neuem.
Mehr Tipps von Manusia gibt’s auf @manusia.official